Positiver Unruheherd: Wenn Sigurd Haugen im Strafraum auftaucht, passiert meistens etwas – am Samstag erschreckt er Schweinfurts Verteidiger so, dass 1860 zwei Eigentore bejubeln durfte. © IMAGO / Kolbert-Press
München – Ehre, Stärke, Rache, Erfolg – dafür steht Sigi, Sohn Odins, in der nordischen Mythologie. Der Sigi, der aktuell in der 3. Liga sein Unwesen treibt, stammt auch aus Norwegen – und setzt der legendären Völsungen-Dynastie ein modernes Giesinger Fußball-Märchen entgegen. Schon seine bloße Anwesenheit lässt Gegner nervös werden – oder sie schießen den Ball gleich selbst ins Tor. So geschehen beim 3:1-Sieg der Löwen gegen Schweinfurt.
Die Rede ist von Sigurd Haugen, den seine Mitspieler liebevoll „Sigi“ nennen. Dass die Löwen gerade von Erfolg zu Erfolg eilen, hat sehr viel mit dem pfeilschnellen Stürmer zu tun, den Ex-Geschäftsführer Christian Werner dem Aufstiegskonkurrenten Hansa Rostock entwunden hat. Aktuell ist der Norweger stark wie noch nie: sechs Treffer im 1860-Trikot, am Samstag mit seinen ersten Assists, die zu zwei Schweinfurter Eigentoren führten. Für den 28-Jährigen eine Frage der Ehre, denn unter Patrick Glöckner, dem Vorgänger von Markus Kauczinski, hatte Haugen einen schweren Stand. Seine persönliche Art der Rache? Zumindest zeigt der Löwen-Sigi dem entlassenen Trainer gerade, dass beider Geschichte anders hätte laufen können.
Rückblende: Am 6. Spieltag traten die Löwen im Ostseestadion an, Haugens früherer Wirkungsstätte. Ein gebrauchter Abend für die damals noch ungeschlagene Glöckner-Elf. Wie in einem ungleichen Pokalduell nahm der FC Hansa den lethargischen Rivalen auseinander. Glöckners Reaktion: drei Wechsel zur Halbzeit. Auch Haugen erwischte es. Justin Steinkötter kam für ihn. Drittliga-Debüt für den Regionalliga-Stürmer – und für Haugen der Gipfel der Demütigung.
„Auswärts bin ich eine Katastrophe“, hatte Haugen vor zehn Tagen in Ulm gesagt. Diesmal war Koketterie dabei, denn zuvor hatte er den einzigen Treffer der Partie erzielt, seinen ersten auswärts. Haugen kann inzwischen locker mit seinen Schwächen umgehen. Er würde wahrscheinlich nicht mal bestreiten, damals in Rostock „katastrophal“ gewesen zu sein, doch für den sensiblen Stürmer hatte das Spiel bei seinem Ex-Club Folgen. Es kam einem mentalen Knock-out gleich. Glöckner ignorierte ihn fortan. Und Haugen, der noch immer kaum Deutsch spricht, war nun auch sportlich isoliert.
Seit Kauczinski übernommen hat, ist alles anders. Haugen ist gesetzt, spürt das Vertrauen – und zahlt zurück. Der nordische Pfeil beschäftigt ganze Abwehrreihen, reißt Lücken mit seinen Tiefenläufen, trifft, bereitet vor, und wenn es Eigentore sind. Ein positiver Unruheherd, der auch abseits des Platzes immer mehr auftaut.
Umringt von Reportern gab Haugen am Samstag Auskunft über sein wiederhergestelltes Selbstvertrauen. „Drei Torbeteiligungen hintereinander tun gut“, sagte er und schob die Begründung hinterher: „Wir sind jetzt eine Einheit. Die letzten drei Spiele haben gezeigt, dass wir noch viel mehr Tore schießen können. Wir haben ein wirklich großes Potenzial in diesem Kader. Wir wollen uns jetzt bis Weihnachten in eine gute Position bringen – und dann 2026 angreifen.“
Der mythische Sigi nahm ein unschönes Ende – verraten von den eigenen Leuten. Dem Sechzger-Sigi droht dieses Schicksal nicht: Seine Mitspieler tragen ihn eher noch auf einem Schild vom Platz, wenn er weiter so knipst. Der Beginn einer neuen Helden-Saga?ULI KELLNER