„Diese Stimmung werde ich am meisten vermissen“: Die Fans im Ally Pally, fast alle sind verkleidet. © Brooks/Imago
„Wir brauchen diese Helden, diese Idole“: Luke Littler hat Darts auf ein neues Level gehoben. © Pitt/Imago
„Du musst es lieben und leben“: John McDonald belebt den Ally Pally mit seiner Stimme. © Stephen/Imago
Die Erde ist wieder eine Scheibe. Ab Donnerstag beginnt die Darts-Weltmeisterschaft im legendären Alexandra Palace in London. Dann ertönt auch wieder die Stimme von Zeremonienmeister John McDonald, der die Pfeilewerfer ein letztes Mal auf die Bühne ruft. Vor der Abschiedstournee spricht der 65-Jährige mit unserer Zeitung über die kuriosen Anfänge, die Entwicklung zu ausverkauften Stadien und leidenschaftliche Fans.
John McDonald, ein letztes Mal Ally Pally. Wie fühlt sich das an?
Es kribbelt. Du musst ein großer Fan sein, um diese Energie in die Show zu stecken. Du musst es lieben und leben. Ich bin sehr aufgeregt. Ich versuche, nicht zu emotional zu sein, aber das beeinflusst natürlich die Gedanken. Du weißt: Bald war es das. Einmal noch alles aufsaugen. Dieses Jahr will ich nochmal einen draufsetzen, etwas Besonderes machen. Ich will mich mit einem Knall verabschieden.
Sie haben 2004 Ihr erstes Darts-Match kommentiert: „The Showdown“ zwischen Phil Taylor und Andy Fordham. Sie haben erlebt, wie sich Darts vom Kneipensport zum Publikumsmagneten entwickelt hat.
Ich kann es immer noch nicht richtig glauben. Ich werde jeden, wirklich jeden Tag gefragt, wie der Sport so groß werden konnte. Als ich das erste Mal in Deutschland war, haben wir in einer kleinen Location über einem Bahnhof gespielt, vor vielleicht 100 Menschen. Jahre später waren wir dann in der Veltins-Arena vor 20 000 Fans mit einem Konzert zwischendrin. Wow. Man hätte sich damals in den wildesten Träumen nicht ausmalen können, welche Arenen wir mal ausverkaufen. Das ist eine Sensation. Ich weiß gar nicht, wo das noch enden soll.
Sie sind in der britischen Hall of Fame des Boxens, waren jahrelang Kommentator. Wie sind Sie zum Darts gekommen?
Barry Hearn (britischer Sportfunktionär und Promoter, Anm. d. Red.) hat mich zum Darts gebracht. Ich war mir damals nicht sicher, ob es das Richtige für mich ist. Er hat damals auch Angeln im Fernsehen gezeigt. Ich habe ihn gefragt: Warum zeigst du das? Barry sagte: `Ich zeige nur Sachen, die ich selbst genieße. Ich liebe Darts und stehe voll dahinter, vertrau mir. Nach deiner ersten Show wirst du es verstehen.` Okay, ich war bei Fordham gegen Taylor und es war ein Desaster. Fordham war krank (Fordham, 2021 verstorben, war schwerer Alkoholiker. „Ich war die ganze Zeit besoffen“, sagt er einst. Anm. d. Red.), das Finale musste abgebrochen werden. Es war ein Schock für mein ganzes System. Ich bin noch nie eine Umgebung wie diese gekommen. Ich wusste nicht, was ich erwarten soll. Ich wusste nicht, was da vor sich geht. Was zur Hölle passiert hier? Dann kam das World Matchplay 2005. Und ich habe immer noch nicht alles verstanden, aber ich habe begonnen, Darts zu lieben (lacht). Du musst live dabei sein, dann wirst du reingezogen.
Was fasziniert Sie am meisten?
Die Leidenschaft der Fans. Es ist ungewöhnlich. Darts ist der einzige Sport, den ich kenne, an dem du zu Beginn ausgebuht und am Ende doch gefeiert werden kannst. Wenn ich in Deutschland bin und sage „Spieler XY aus England“, kommt ein Buuuh. Dann hat der Spieler ein 170er-Checkout, die Menge rastet aus und alle lieben ihn. Diese Stimmung werde ich auch am meisten vermissen.
Einmal im Jahr schauen Millionen von Menschen anderen Menschen zu, wie sie Pfeile auf Scheiben werfen. Warum?
Es ist diese Mischung. Auf der einen Seite hast du den ikonischen Ally Pally, der jetzt schon so lange die Heimat der Weltmeisterschaft ist. Es ist immer ausverkauft, du stehst auf der Bühne und siehst vormittags schon diese ganzen verkleideten Fans, die ein Lied nach dem anderen singen. Und dann DAS Turnier im Dartskalender, das jeder gewinnen möchte. Es gibt so viele unglaubliche Spieler, die nie Weltmeister geworden sind. Terry Jenkins war jahrelang überragend, konnte den Titel aber nie gewinnen. James Wade ebenso. Viele Spieler leben von diesem Traum, einmal da oben mit dem Pokal zu stehen. Und die meisten werden es nie erreichen. Das macht es so speziell.
Luke Littler hat die Popularität von Darts nochmal auf ein anderes Niveau gehoben.
Wir hatten alle unsere Sporthelden, als wir noch Kinder waren. So war es bei Luke Littler auch, er hat Phil Taylor oder Raymond van Barneveld gesehen. Er wollte so wie sie sein. Jetzt hat er selbst in Rekordtempo Erfolge gefeiert und all das ist einmal um die Welt gegangen. Da sitzen jetzt viele Kinder und denken sich: Wenn Luke Littler das geschafft hat, warum sollte ich das nicht schaffen? Wir brauchen diese Helden, diese Idole, so wächst der Sport. Und wir wollen doch lieber, dass unsere Kinder Darts spielen als irgendwelche Computerspiele. Es gibt diese mentale Komponente, sie messen sich im Wettbewerb mit anderen Kindern. Die Darts-Akademien werden immer größer, das liegt an so faszinierenden Spielern wie Luke Littler oder Luke Humphries. Es gibt jetzt klare Fußstapfen für die Jugend, in die sie treten können.
Wenn wir zum Schluss auf einen besonderen Moment Ihrer Karriere schauen: Sie haben Rekordweltmeister Phil Taylor bei seinem letzten WM-Auftritt angesagt. Diese Worte sind legendär und ein Teil Sportgeschichte.
Ich habe eine Verantwortung gegenüber den Fans, eine Verantwortung gegenüber der Sportgeschichte. Wenn ich einfach auf die Bühne gehe und sage „Meine Damen und Herren, hier ist noch einmal Phil Taylor“, ist es nicht dasselbe. Ich habe damals Boxen in Amerika live verfolgt und gesehen, wie sie die Show aufziehen. Es war viel aufregender als bei uns. Ich habe mich gefragt: Warum können wir nicht so gut sein? Ich habe als Ansager beim Boxen in Großbritannien angefangen und mir geschworen, dass ich jede Show besonders machen werde.
NICO-MARIUS SCHMITZ