Ein WM-Finale will man gewinnen, keine Frage. Aber im Grunde spielte das Ergebnis im Duell mit Norwegen keine Rolle für die Bewertung des Teilzeit-Heimturniers der deutschen Handballerinnen. Das Team ist über sich hinausgewachsen und hat Historisches geleistet. Fast 20 Jahre nach der bisher letzten Medaille (WM-Bronze 2007) haben die DHB-Damen endlich wieder Edelmetall in den Händen.
Sinnbildlich für den langen Weg steht Xenia Smits, die bereits 2017 zum WM-Kader gehörte. Oder Emily Vogel (früher Bölk), die erstmals bei der EM 2018 mitwirken durfte und stets mit der (bisher einzigen) Goldmedaille ihrer Mutter Andrea (WM 1993) verglichen wurde. Beiden jagten jahrelang mit Antje Döll, Jenny Behrend oder auch Alina Grijseels dieser Medaille hinterher – vergeblich. Vor Turnierstart redete man sich Mut zu und versagte doch meist kläglich. Jetzt hat das Team der Gescheiterten ein Wintermärchen geschaffen. Und wer Döll, Smits oder Vogel nach dem Halbfinale in die von Freudentränen glänzenden Augen blickte, der sah echte Emotionen in einer oft abgeklärten Sportwelt.
Großen Anteil am Erfolg hat Bundestrainer Markus Gaugisch. Als er das Amt als hochdekorierter Clubtrainer (Triple-Sieger mit Bietigheim) 2022 antrat, lief nicht alles rund. Die Plätze sechs (WM ‘23), sieben (EM ‘24‘) und acht (Olympia ‚24) waren nicht schlecht, aber der letzte, erhoffte Schritt in die Weltspitze blieb aus. Doch er hat es geschafft, mit dem Trio Vogel-Pereira-Smits ein monströses Abwehrbollwerk zu schaffen. Dahinter spielte Katharina Filter das Turnier ihres Lebens, davor dirigierten mit dem Duo Grijseels/Lott zwei Spiellenkerinnen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Und dann wäre da noch Anführerin Döll. In der Jugend traute ihr niemand die Nationalmannschaft zu. Seit Gaugisch sie im März zur Kapitänin machte, ist die 37-Jährige (!) in der Form ihres Lebens.
Was bedeutet all das nun für Frauen-Handball in Deutschland? Im besten Fall: viel. Im wahrscheinlichsten: wenig. Der Status quo: Heldin Döll arbeitet nebenher (zehn Stunden) als Polizeikommissarin. Viele Bundesligapartien finden in besseren Schulturnhallen statt. Meister Ludwigsburg musste Insolvenz anmelden. Der Weg zu mehr Professionalität ist lang. Aber das war er bis zur WM-Medaille ja auch.MATHIAS.MUELLER@OVB.NET