Im Krankenhaus: Bergsteiger Simone Moro. © privat
Der Österreicher David Lama – hier am Cerro Torre in Patagonien – verunglückte vor sechs Jahren in einer Lawine in den Rocky Mountains. © IMAGO/RedBull
Billi Bierling stand bisher auf sechs der 14 Achttausender der Welt – hier freut sie sich über die Besteigung des 8516 Meter hohen Lhotse. © Bierling
Anja Blacha nach einer Lawine auf der Annapurna. © Blacha
München/Garmisch – Billi Bierling (58) hat sechs Achttausender bestiegen, dokumentiert für die Himalayan Database rund 490 Gipfel in Nepal und kommt wie Laura Dahlmeier († 31) aus Garmisch-Partenkirchen. Vor zweieinhalb Jahren starb ihr guter Freund Luis Stitzinger (54) am Kangchendzönga (8586 Meter). Unsere Zeitung hat mit der Naturliebhaberin über die Gefahren in den Bergen und das nötige Quäntchen Glück gesprochen.
Frau Bierling, können Sie verstehen, wenn Nichtbergsteiger Sie für verrückt halten?
Nee, kann ich nicht. Ich glaube, unser Leben hängt sowieso am seidenen Faden. Wenn ich dumm vom Stuhl falle und mir ganz blöd den Kopf anhaue, kann ich auch tot sein. Ich weiß, die Leute finden das immer an den Haaren herbeigezogen, aber das empfinde ich nicht so. Zudem: Diejenigen, die nie in den Bergen unterwegs waren, können nicht spüren, was ich dort spüre: Freude, Freiheit und ein pures Glücksgefühl.
Keine Gefahr?
Ich würde gerne mit einem Vergleich antworten. Vergangenes Jahr gab es in Deutschland knapp 2800 Unfalltote, es sterben also fast acht Menschen pro Tag im Straßenverkehr. Autofahren halten die Menschen aber nicht für gefährlich – weil es eine Gefahr ist, die sie kennen. Auf den Sozialen Medien gab es nach dem Todessturz vor ein paar Tagen am Stöpselzieher-Klettersteig auf der Zugspitze viel Kritik und Stimmen, die fragten, warum man da jetzt hochgehen muss.
Was denken Sie?
Ja, warum denn nicht? Noch ein Beispiel: Bei uns in Garmisch gab es in der Kirche einen Organisten, der wegen seiner Koordinationsschwierigkeiten nicht mehr auf die Empore steigen sollte. Er hat es trotzdem gemacht, ist tragischerweise heruntergefallen und hat den Sturz nicht überlebt. Aber er hat seine Orgel geliebt. Wenn er nie wieder gespielt hätte, wäre er traurig gewesen. Genauso sehe ich im Übrigen den Unfall von Laura Dahlmeier. Nur in und mit den Bergen war sie die Laura, die sie war.
Frau Dahlmeier war niemand, die unnötige Risiken eingeht. Wie viel Prozent einer hochalpinen Expedition sind planbar?
Das in Prozentzahlen einzuordnen, ist schwierig. Wenn ich müsste, würde ich sagen, dass man 25 bis 30 Prozent nicht planen kann. Es kann immer irgendwas herunterrutschen. Oder der Steinschlag bei Laura – so etwas kannst du einfach nicht vorhersehen.
Aber am Berg denkt man nicht daran, oder?
Die Gefahren sind den Bergsteigern schon bewusst, jedoch denkt man nicht ständig daran, denn man will ja Freude am Berg haben. Es gibt auch Menschen, die davon sprechen, den Berg ‚besiegt‘ zu haben. Das finde ich komisch, denn wir sollten doch mit den Bergen zusammenarbeiten.
Ist die Natur Faszinosum und Monster zugleich?
Die Natur kann monströs sein, natürlich, aber nicht nur in den Bergen. Das sieht man aktuell leider unter anderem an den Wassermassen, denen Indonesien oder Sri Lanka ausgeliefert sind.
Macht die Tatsache, dass sich Laura Dahlmeier auf dem Abstieg befand, den Unfall noch tragischer?
Finde ich nicht. Es zeigt vielmehr, dass sie und Marina Krauss keine Hasardeurinnen waren. Sie haben die Größe gehabt und erkannt, dass es wegen des Wetters besser ist, umzukehren. Sie wollten nicht um alles in der Welt auf diesen Gipfel. Wäre der Stein fünf Sekunden später gefallen oder Laura ein bisschen anders gestanden, wäre vielleicht nichts passiert.
Hatte sie kein Glück im Pech?
Ich denke, aber das ist nur meine persönliche Lebenseinstellung, dass das alles, so tragisch es auch ist, so passieren musste. Ich glaube, unsere Leben sind vorgezeichnet.
Die deutsche Extremalpinistin Anja Blacha hat nur wenige Wochen davor eine Lawine an der Annapurna (8091 Meter) relativ unbeschadet überlebt. Sie hatte das nötige Quäntchen Glück.
Und wie. Die Annapurna ist sehr lawinengefährdet. Noch vor 20 Jahren war sie nur ein Ziel für die allerbesten der Szene. Heute ist das sogar für manche Bergsteiger der erste Achttausender. Ich würde da nie raufgehen, weil viele potenzielle Gefahren lauern.
Alle 14 Achttausender war also kein Thema für Sie?
Nein, nie. Aber ein siebter Gipfel spukt noch in meinem Kopf herum. Dann hätte ich die Hälfte. Aber wenn nicht, dann ist das auch in Ordnung. Ich hatte sehr viel Glück, es ist auch nie jemand direkt in meinem Expeditionsteam ums Leben gekommen.
Keine Situation, die im Nachhinein doch sehr gefährlich war?
Doch, bei meinem ersten Versuch am Broad Peak (8051m, d. Red.). Wir waren vom Lager drei in Richtung Gipfelgrat unterwegs und standen in einem riesigen Hang. Es war totenstill und plötzlich macht es „Wrumm“. Ich wollte nur noch runter, so schnell wie möglich. Wenn ich daran denke, kriege ich heute noch Gänsehaut.
Reinhold Messner muss in unzähligen solcher Situationen gewesen sein. Ich finde, er muss wahnsinnig viel Glück gehabt haben.
Aber er hat keine Zehen mehr.
Aber er lebt. Im Gegensatz zu Laura Dahlmeier. Oder David Lama, Hansjörg Auer und Ueli Steck. Allesamt Top-Bergsteiger.
Das stimmt. David und Hansjörg – das war wirklich eine unvorhergesehene Lawine. Und bei Ueli fragen mich die Leute immer: „Billi, was ist da oben am Nuptse passiert?
Und?
Ueli war ohne Seil und ohne Sicherung unterwegs. Natürlich, wenn man Uli Steck war, machte man eigentlich keinen Fehler. Aber vielleicht ist ihm auch ein Stein auf den Kopf gefallen.
Vor zwei Jahren ist auch Ihr Freund Luis Stitzinger am Kangchendzönga (8586 Meter) verunglückt. Sie haben die Rettungsversuche mitkoordiniert. Wie fühlt sich so eine Situation an?
Wie sagt man so schön: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Aber da die Helikopter, ähnlich wie bei Laura, tagelang nicht fliegen konnte, wussten seine Frau Alix und ich tief im Herzen, dass Luis nicht mehr am Leben sein wird. Später hat sich bestätigt, dass er da oben ziemlich schnell gestorben ist. Er hat sich aus Erschöpfung hingesetzt und ist an der Höhenkrankheit gestorben.
Ist er den berühmten Schritt zu weit gegangen?
Luis war ohne Flaschensauerstoff unterwegs. Auf 8500 Meter ist die Luft unglaublich dünn und das Gehirn wird nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt. Ich könnte mir vorstellen, dass das Gipfelfieber vielleicht ein wenig zu stark war und Luis, der wirklich sehr erfahren war, den entscheidenden Augenblick verpasst hat, in dem sein Körper ihm signalisierte, dass er über seine Grenzen geht.
Wenn jemand am Berg verunglückt, ist der Ruf nach Rettung laut. Aber wie viel Hilfe kann man erwarten?
Die Welt da oben ist eine andere als unten in den Büros. Ich zum Beispiel würde vielleicht gerne jemand retten, hätte aber in der extremen Höhe gar nicht die Kraft dafür. Jedem sollte bewusst sein – das gilt aber auch beim Aufstieg auf die Zugspitze –, dass man nicht unbedingt gleich gerettet werden kann. Das gilt natürlich nicht für Laura, aber ich habe ganz allgemein das Gefühl, dass viele Menschen vergessen, dass die Rettung nicht immer gleich klappt und dass sich die Rettungskräfte auch oft in Gefahr begeben. Die machen mittlerweile Dinge, weil sie glauben, zur Not kommt schon ein Helikopter vorbei. Das geht nicht immer, vor allem in großen Höhen.
INTERVIEW: MATHIAS MÜLLER