Jagt sein erstes Tor im Löwen-Trikot: Siemen Voet hat mit 1860 wieder in die Spur gefunden –und hat noch viel vor in dieser Saison. © sampics
München – Im 19. Saisonspiel wird es bei den Löwen am Samstag (16.30 Uhr) gegen Verl eine Saison-Premiere geben. Erstmals wird Innenverteidiger Siemen Voet nicht in der Startelf stehen, der Sommer-Neuzugang fehlt mit seiner fünften Gelben Karte. Im Interview mit unserer Zeitung spricht der Belgier über seine Sperre, sein turbulentes erstes halbes Jahr bei 1860 und erklärt, wie er aus seinem Formtief wieder herausgekommen ist.
Herr Voet, wie oft werden Sie noch mit dem falschen Namen angesprochen?
Schon noch häufiger. Hier gibt es die unterschiedlichsten Aussprachevarianten (lacht). Siemen Voet wie man es schreibt oder auch Siemen Vöt. Richtig ist aber eigentlich Siemen Wut, mit W.
Zuletzt waren Sie bei einer Weihnachtsfeier eines Fanclubs Eisstockschießen. Ein Kulturschock?
Ja, es war etwas Neues (lacht). Aber ich kenne die deutsche Kultur gut, habe zwei Onkel in Regensburg und Berlin. Ich mag die deutsche Kultur, auch Weißwürste und Leberkäse. München ist vielleicht die schönste Stadt in Deutschland. Ich liebe München, du hast die Isar, das Oktoberfest, die Berge.
Kommen wir zum Sportlichen: Haben Sie Ihre gelbe Karte in Ingolstadt schon verdaut?
Ich habe sie mir fünfmal angesehen. Ich finde, es ist zu wenig für eine gelbe Karte. Ich habe den Schiedsrichter gefragt, er meinte, ich bin zu sehr in den Gegner hineingegangen. Das Problem: Tu ich es nicht, lande ich mit dem Gesicht auf dem Boden. Es ist bitter, dass ich jetzt in diesem wichtigen Spiel gegen Verl fehle.
Mit Verl wartet eine spielstarke Mannschaft auf die Löwen…
Verl ist eine Mannschaft, die zockt. Wenn sie ins Rollen kommt, müssen wir unsere Laufschuhe anziehen. Wir haben Erfahrung, müssen beispielsweise Hobsch in Abschlusssituationen bringen. Wir müssen es mehr wollen als der Gegner.
Vier Siege in Folge, 1860 ist plötzlich wieder ganz nah dran an den Aufstiegsrängen…
Es macht aktuell viel Spaß. Wir hatten eine wirklich schlimme Zeit zwischendurch, mit den Niederlagen gegen Rostock (1:2), Hoffenheim II (1:5), Wiesbaden (0:1) oder auch Aue (0:2). Da war ich extrem emotional, sehr traurig. Deswegen fühle ich mich aktuell so gut, weil ich weiß, dass es auch anders laufen kann. Die Fans haben uns damals zurecht kritisiert, können aber jetzt feiern. Gegen Ingolstadt (2:1) am Wochenende war es jetzt ganz anders vom Gefühl her als beispielsweise in Regensburg (0:4).
Was meinen Sie genau?
Wir waren komplett da, auch wenn wir in Rückstand geraten sind. Unser Coach gibt uns in solchen Momenten Vertrauen und Ruhe. In Regensburg haben wir zu leicht aufgegeben, das darf nicht wieder passieren. Und jetzt haben wir eine große Mentalität in der Mannschaft, das haben wir in Ingolstadt gesehen. Die 15 Minuten nach der Pause waren wir voll da, im Pressing sowie im Gegenpressing. Mit dem Tor von Patrick Hobsch haben wir uns belohnt. Und auch danach mit zehn Mann haben wir stark gekämpft. Das war der perfekte Erfolg für einen Löwenfan: Qualität, Leidenschaft und der Sieg. Die Fans waren Wahnsinn, wir hatten ein Heimspiel – das war so cool. Ich hatte pure Gänsehaut.
Sie haben sich nach einem kleinen Formtief auch wieder gefangen…
Der Anfang hier war verrückt. Egal ob im Trainingslager in Österreich oder beim Testspiel in der Schweiz, es waren so viele Fans von uns dabei. In diesem Club steckt so viel Geschichte, das hat man auch bei der Doku gesehen. Ich weiß nun, was es bedeutet, ein Löwe zu sein. Zu Beginn haben wir elf Punkte aus fünf Spielen geholt. Ich hatte aber nicht das Gefühl, dass wir stabil waren. Dann kamen wir in eine schreckliche Phase. Fußball kann brutal sein. Mit dem neuen Coach haben wir wieder mehr Vertrauen bekommen. Er hat gesagt, dass wir alles außenherum ignorieren und unsere eigene Geschichte schreiben müssen. Jetzt habe ich das Gefühl, dass wir die 50/50-Spiele gewinnen.
Im Sommer herrschte riesige Euphorie. Bei Ihnen hieß es immer „er habe letzte Saison Champions League gespielt“…
Klar war Druck vorhanden. Aber ich habe mit Slovan Bratislava Champions League gespielt, das ist nicht der allergrößte Verein. Ich verstehe nicht, wieso das Druck bedeutet. Es muss eine Ehre sein. Das ist ja sonst eine Bestrafung, dass ich in der Champions League gespielt habe (lacht).
Wie haben Sie denn das Abenteuer Champions League in Erinnerung?
Ich war vor dem Auswärtsspiel bei Atletico Madrid sehr nervös, es waren 70.000 Zuschauer im Wanda Metropolitano. So viele tolle Spieler auf der anderen Seite, Griezmann, Sørloth oder auch de Paul. Griezmann war so gut, so schwer zu greifen. Das war das größte Spiel meines Lebens. Beinahe hätte ich ein Tor gemacht, nur der Pfosten stand im Weg (lacht). Ich bin einfach stolz auf diese Erlebnisse.
Sie haben bereits in Belgien, den Niederlanden und der Slowakei gespielt. Wie unterscheidet sich der deutsche Fußball davon, speziell die 3. Liga?
In den Niederlanden wird viel gezockt, da hatte ich viel Spaß, konnte viele Pässe zwischen die Linien spielen. Ähnlich war es in Belgien. In der Slowakei war es wichtiger, die Bälle zu verteidigen, weniger zu zocken. Hier in Deutschland liegt auch der Fokus mehr auf dem Kampf und der Leidenschaft. Meine Qualität liegt eigentlich im Spielaufbau, in den Niederlanden habe ich teilweise den Außenverteidiger hinterlaufen. Mir ist aber klar, dass man hier Lust aufs Verteidigen haben muss. Das habe ich verstanden.
Wie viel Prozent Ihres Könnens haben Sie schon gezeigt?
Was die Leidenschaft angeht, 100 Prozent. Der Fokus bei mir ist da, das ist gut. Jetzt möchte ich aber noch mehr zeigen, zum Beispiel mal ein Tor machen. Damit möchte ich zeigen, dass ich da bin – ich will vor der Kurve jubeln.
Jetzt ist etwas Zeit zum Durchschnaufen: Wo verbringen Sie Weihnachten?
Nach dem Spiel fahre ich mit meiner Freundin ein paar Tage an den Tegernsee. Danach fliege ich zu meiner Familie nach Belgien, ich war seit August nicht mehr dort. Am 24. Dezember gibt es klassisch Geschenke und Wild zum Abendessen. Das ist die schönste Zeit mit der Familie zusammen. Mit meinen Freunden feiern wir Silvester, danach ist meine soziale Batterie wieder aufgeladen (lacht).
INTERVIEW: M. B. UCLES