2025 wird Marchand zusammen mit Valentin Luz Weltmeister im Doppelzweier © Tufne
Marchand trainiert erst seit knapp einem Jahr auf Langlauf-Ski © Privat
München – Es gibt 21 Athleten, die sowohl bei Olympischen als auch bei Paralympischen Spielen (jeweils Sommer) teilgenommen haben – Kathrin Marchand ist eine davon. Im Februar will die 34-Jährige einen noch exklusiveren Club gründen: Sie möchte die erste Sportlerin werden, die dazu noch an den Paralympischen Winterspielen teilnimmt. Dabei war ihre Karriere 2016 eigentlich beendet.
Die damals 25-jährige Ruderin war zweimal bei Olympia (London 2012 und Rio 2016), das Medizinstudium verlief dafür schleppend. Sie entschied sich, den Riemen an den Nagel zu hängen. „Ich habe das alles auch gar nicht vermisst und war nicht mehr rudern“, erinnert sich die Kölnerin. Sie beendet ihr Studium, arbeitet in einer Klinik und meldet sich beim Crossfit an.
Das Mindset einer Leistungssportlerin verliert sie allerdings nie – auch nicht am 1. September 2021, als sie auf dem Fahrradergometer ein Intervalltraining absolviert und dabei zunehmend schlechter sieht und ihre linke Körperhälfte immer weniger spürt. „Ich kannte das von früher. Bei einem Ruderrennen kommt man auch im Ziel an und kann oft kaum mehr sehen“, so Marchand. Eine Stunde später ruft sie doch den Krankenwagen. Sie hatte einen Hirninfarkt.
Ihr Sehvermögen ist seitdem stark eingeschränkt und ihre linke Körperhälfte fühlt sich weitgehend taub an – Hemiparese nennt man das. Für einfache Bewegungen braucht sie deutlich mehr Konzentration. Auch in ihrem normalen Alltag. „Ich war komplett überfordert. Ich stand im Supermarkt und habe den Ausgang nicht mehr gefunden. Ich bin oft auf dem Weg nach Hause an meiner Wohnung vorbeigelaufen.“
Marchand fühlt sich überfordert und gleichzeitig gelangweilt. „Ich konnte acht Monate lang nicht arbeiten, aber ich lag ja nicht krank im Bett. Ich wollte ja etwas machen“, beschreibt sie die Zeit, in der sie gefragt wird, ob sie bei einem Rudertraining einspringt. Aus einem spontanen Training wird wieder Regelmäßigkeit. Bald kreuzt ein Gedanke ihren Weg: „Was, wenn ich zu den Spielen in Paris fahren könnte?“
Nicht einmal ein Jahr nach ihrem Schlaganfall ist sie klassifiziert – darf also bei Para-Wettkämpfen starten – und kommt bei den European Championships 2022, als eine Teamkollegin krank wird, direkt zu ihrem ersten Einsatz und feiert EM-Bronze. Zwei Jahre später geht ihr Vierer – auf den Tag genau drei Jahre nach dem Schlaganfall – als Medaillenkandidat ins paralympische Finale.
Doch auch der 1. September 2024 hält nichts Gutes für die damals 33-Jährige bereit. Mit sechs Hundertsteln verpasst ihr Boot eine Medaille. „Dieses Ergebnis war schlimm. Ich dachte mir: Das kann doch nicht sein.“
Zum Glück öffnet sich schnell eine neue Tür. Ob sie sich vorstellen kann, auch beim Para-Langlauf zu starten, wird sie wenige Wochen später gefragt. Rasch ist klar: Sie kann. „Hätten wir in Paris eine Medaille geholt, wäre alles fein gewesen – dann hätte ich aufgehört.“ Doch eine neue Sportart reizt sie: „Das Schöne ist, dass niemand etwas von mir erwartet.“
Drei Monate nach dem Finale von Paris wird sie erneut klassifiziert und startet in Norwegen zu ihrem ersten Wettkampf. „Das war eine Katastrophe. Ich hab mich im Wettkampf verfahren, weil ich den Weg nicht gefunden habe.“ Doch der erste Schritt ist gemacht. In ihrer ersten Langlaufsaison wird Marchand im Weltcup zweimal Vierte, bei ihrer ersten WM Fünfte.
Mit der Langlauftechnik fremdelt sie jedoch noch. Im Training steht sie oft kurz vor dem Nervenzusammenbruch, und im WM-Sprint verhindert ein Sturz ihren Finaleinzug. „Das ist oft frustrierend. Ich mache das derzeit alles über Kraft und Ausdauer – aber ich hoffe, meine Technik ist mittlerweile besser geworden“, sagt Marchand mit Blick auf ihr großes Ziel: Mailand 2026.
Dafür fehlt noch die interne Qualifikation, den deutschen Startplatz für die Titelkämpfe hat die Kölnerin bereits im vergangenen Jahr gesichert. Im Sommer hat sie viel auf Rollerski trainiert. „Wer kann am Ende schon sagen, dass er bei drei verschiedenen Spielen teilgenommen hat?“, fragt Marchand. Die Antwort: niemand.LENNARD KAUSEMANN