Die stille Macht im Weltfußball

von Redaktion

Deutscher Geschäftsführer erklärt, wie das IFAB die Regeln des Spiels lenkt

Strenger Blick auch beim Afrika Cup: Der Weltfußball richtet sich nach den Vorgaben des IFAB. © Abaca/Imago

Am VAR scheiden sich die Geister. © Catry/Imago

Aus Bayreuth: IFAB-Geschäftsführer Lukas Brud. © Imago

Mächtige Männer: Das IFAB, hier bei der 136. Generalversammlung, ist die Regelbehörde des Weltfußballs. © X

München – Abseitsreform, strengere Regeln gegen Zeitspiel, mehr Befugnisse für den VAR – pünktlich zur Fußball-WM 2026 stehen mögliche Regeländerungen erneut im Fokus. Was davon tatsächlich umgesetzt wird und nach welchen Kriterien darüber entschieden wird, liegt in den Händen des International Football Association Board (IFAB). Im Interview erklärt Geschäftsführer Lukas Brud, wie neue Regeln entstehen und welche Reformideen aktuell geprüft werden.

Herr Brud, wie läuft der Prozess beim IFAB genau ab?

Das IFAB wurde 1886 von den britischen Verbänden England, Schottland, Nordirland und Wales gegründet. 27 Jahre später trat die FIFA als fünftes Mitglied bei und repräsentiert die weiteren 207 nationalen Fußballverbände. Bei wichtigen Entscheidungen, wie Regeländerungen zum Beispiel, verfügen die vier britischen Verbände jeweils über eine Stimme, die FIFA hingegen über vier Stimmen. Für einen Beschluss braucht es dann eine Dreiviertelmehrheit, also sechs von acht Stimmen.

Worauf achtet das IFAB bei diesem Prozess?

Alle Änderungen müssen sich an dem orientieren, was der Fußball erwartet und benötigt. Die Weiterentwicklung der Spielregeln basiert auf einem offenen und regelmäßigen Austausch mit der weltweiten Fußballgemeinschaft sowie auf der kontinuierlichen Analyse durch unsere Expertengremien. Dabei ist uns Transparenz besonders wichtig: Wir binden Verbände, Ligen und Wettbewerbe frühzeitig ein, hören ihre Perspektiven und machen Entscheidungsprozesse nachvollziehbar. So stellen wir sicher, dass fundierte Vorschläge entstehen, die anschließend innerhalb der Organisation sorgfältig und ausführlich diskutiert werden.

Wer darf alles einen Vorschlag zu einer Regeländerung einreichen?

Vorschläge müssen zwingend über die Verbände und Kontinentalverbände eingereicht werden. Danach werden sie zunächst von unseren Beratungsgremien geprüft. Das ist unser erster und wichtigster Filter. Ohne Einigkeit auf dieser Ebene geht es im Prozess erst einmal nicht weiter.

Im Hinblick auf die Regeln befindet sich das IFAB in einem Spannungsfeld: Wie bewerten Sie die Balance zwischen Tradition und Modernisierung im Fußball?

Grundsätzlich lebt der Fußball von der Einfachheit seiner Regeln – das war immer einer der größten Erfolgsfaktoren. Man braucht kaum etwas, um spielen zu können: zwei Teams, ein Ball, improvisierte Tore und es funktioniert. Fußball ist sehr niedrigschwellig, und genau dieses Prinzip wollen wir bewahren.

Aber?

Gleichzeitig können wir uns der Entwicklung im Fußball nicht entziehen. Sei es durch den Einsatz neuer Technologien für Entscheidungen oder durch notwendige Anpassungen der Spielregeln, um das Verhalten von Spieler und Trainer zu verbessern. Ein zentraler Punkt dabei ist, das respektvolle Miteinander zu fördern und schlechtes Verhalten gegenüber Schiedsrichtern zu reduzieren. Deshalb haben wir unsere Prozesse erweitert und modernisiert, damit die Qualität unserer Entscheidungen so hoch wie möglich ist und diese demokratisch umgesetzt werden.

Was meinen Sie?

Dass wir bei jeder Modernisierung sehr genau hinschauen und oft sogar bremsen müssen. Viele Vorschläge entstehen aus der Perspektive des Profifußballs, aber der macht vielleicht ein Prozent des weltweiten Spiels aus. Unsere Aufgabe ist es, Regeln für alle zu gestalten: also auch Kinderfußball, Jugend-, Amateur- und Breitensport. Jede Änderung muss grundsätzlich überall anwendbar sein.

Mit Ausnahme des VAR.

Technische Hilfsmittel wie der VAR sind keine eigenen Regeln, sondern Werkzeuge, die von Wettbewerben, in denen die nötige Infrastruktur vorhanden ist, optional genutzt werden können. Sie verändern nicht das Spiel an sich, sondern unterstützen die Schiedsrichter. Entscheidend ist: Die Regeln müssen universell bleiben. Genau in dieser Balance zwischen Tradition und moderner Unterstützung liegt unsere zentrale Verantwortung.

Mit anderen Worten: Das IFAB sieht sich auch als Hüter der Fußballtradition?

Im Hinblick auf die Spielregeln. Gleichzeitig beobachten wir genau, welche Rolle Technologie sinnvoll und im Sinne des Sports spielen kann. Vor 15 Jahren wäre der Einsatz des VAR kaum vorstellbar gewesen. Doch irgendwann wurde deutlich: Die Zuschauer im Stadion und vor den Bildschirmen haben Zugriff auf Wiederholungen – nur der Schiedsrichter nicht, obwohl er die Entscheidungen trifft. Unser Anspruch ist es daher, technologische Entwicklungen dort zuzulassen, wo sie der Fairness im Spiel und der Entscheidungsqualität dienen, den Fußball so einfach wie möglich zu halten.

Welche Rolle könnte künftig der Einsatz künstlicher Intelligenz spielen?

Die Frage taucht immer wieder auf: Brauchen wir den Schiedsrichter irgendwann überhaupt noch? Und die klare Antwort lautet: ja, selbstverständlich. KI kann vielleicht unterstützen, bei einer schnelleren Auswahl und Überprüfung von Kameraperspektiven zum Beispiel, aber sie wird keine Spielleitung übernehmen. Selbst wenn das technologisch möglich wäre, würde das nicht für jedermann zugänglich sein. Davon sind wir noch sehr weit entfernt.

Zoff gibt es ohnehin auch schon jetzt zur Genüge. In Deutschland steht der VAR massiv in der Kritik. Kölns Trainer Kwasniok geht sogar so weit zu sagen, er „hasse“ ihn, weil er „alles verfälsche“. Wie lautet ihr Plädoyer?

Im Fußball wird es immer emotionale Debatten geben, das gehört zur DNA dieses Sports. Dass der VAR polarisiert, ist daher nicht überraschend. Gerade deshalb ist es wichtig, auf die Fakten zu schauen: Vor der Einführung des VAR lag die Quote der korrekten Schiedsrichterentscheidungen bei rund 93 Prozent, in der Testphase mit VAR bereits bei etwa 99 Prozent. Das ist ein erheblicher Unterschied.

Kritik kommt jedoch auch aus der Schiedsrichterei selbst. Ex-Referee Urs Meier sagt, der VAR habe den Fußball weder besser noch gerechter gemacht…

Ich sehe das differenzierter. Fakt ist: Weltweit gibt es heute deutlich weniger klare Fehlentscheidungen als vor der Einführung des VAR. Der VAR hat den Fußball also faktisch fairer gemacht. Gleichzeitig erzeugen einzelne Eingriffe natürlich Diskussionen. Negative oder strittige Situationen bleiben stärker hängen als all die vielen korrekten Entscheidungen, die getroffen werden, ohne dass es der Zuschauer mitbekommt.

Allerdings ist auch eine „klare Fehlentscheidung“ oft Auslegungssache. Sie haben bereits vor einiger Zeit gesagt, dass die Definition schwierig sei. Daran hat sich nichts geändert, oder?

Nein. Es gibt eindeutige Situationen – Abseits, Tor oder kein Tor, Foul außerhalb oder innerhalb des Strafraums. Ob es aber ein Foul war oder nicht, bleibt Interpretationssache, denn Fußball ist kein Computerspiel und Entscheidungen auf dem Platz werden von Menschen getroffen. Zwei Szenen können ähnlich aussehen und trotzdem unterschiedlich bewertet werden. Das war schon immer so. Der VAR verändert daran nichts – er minimiert nur grobe Fehler, und er ersetzt den Schiedsrichter nicht.

Einige Kritiker sagen, der Schiedsrichter auf dem Platz sei nur noch Erfüllungsgehilfe des VAR…

Nein, der Schiedsrichter bleibt die oberste Instanz und die einzige Person, die Entscheidungen trifft. Aber er hat jetzt einen Fallschirm: Der VAR hat eine beratende Rolle, er liefert zusätzliche Informationen und bewahrt den Schiedsrichter vor möglichen Skandalen. Das macht ihn sicherer und selbstbewusster.

Hier scheiden sich die Geister. Viele sagen, Schiris seien heute weniger mutig als früher.

Die aktiven Schiedsrichter wollen den VAR. Dass manche ehemalige Kollegen das anders sehen, ist verständlich – sie hatten diese Hilfe nie. Aber die Realität auf dem Platz spricht eine andere Sprache.

INTERVIEW: JOHANNES OHR

Teil zwei des Interviews lesen Sie am Wochenende: Lukas Brud über mögliche Regeländerungen bei der Fußball-WM 2026.

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