Favorit Domen Prevc und der Sieger-Adler. © Hoermann/Imago (2)
Toni Innauer, Ex-Flieger und Experte. © Pertramer
Skisprung-Romantik: Ab Sonntag dreht sich wieder alles um den V-Stil – die Vierschanzentournee startet in Oberstdorf.
Er hat sich aus der Springer-Szene bewusst entfernt. Auch als Fernsehexperte ist Toni Innauer nicht mehr zu sehen. Für unsere Zeitung warf der 67-Jährige, der zuletzt die lesenswerten Ratgeber „Die 12 Tiroler“ und „Ein neues Leben“ auf den Markt brachte, dennoch einen Blick auf das Skispringerlager, das sich gerade für die Vierschanzentournee rüstet.
Herr Innauer, wir müssen ein paar Wunden aufreißen. 1975/76 haben Sie drei Springen gewonnen. Die Tournee gewann Jochen Danneberg, Sie wurden Gesamt-Vierter. Das klingt ein bisschen nach Cordoba verkehrt herum…
(lacht) Im Nachgang betrachtet hat mir die Karrieredauer gefehlt, dass das mal hat passieren können. Ich habe mit 21 meine letzten Wettkämpfe gemacht. In der Zeit hatte ich ganz genau drei Vierschanzentourneen, die ich zu Ende gesprungen bin. Dabei habe ich das Kunststück fertiggebracht habe, Schanzenrekord zu springen, dreimal zu gewinnen und nicht mal aufs Stockerl zu kommen. Ich habe das auch zum Gegenstand einer Lesung gemacht. Der Titel: Die Kunst des eleganten Scheiterns.
Klingt vielversprechend…
Ja, einmalig. Zumal ich es auch als Trainer nicht geschafft habe. Mit einem guten Team und aller Anstrengung hatten wir Platz zwei, drei, vier… aber wir haben nie gewonnen.
Die Tücken einer Veranstaltung, bei der man keinen Sprung verhauen darf.
Richtig. Und früher schon gar nicht. Wenn du wie ich in Innsbruck Pech mit dem Wind hattest, dann warst du nach dem ersten Sprung 75., so viel Starter hat es damals noch gegeben. Das wäre heute nicht mehr möglich. Die Windregel hat schon dazu beigetragen, dass die besten Springer auch vorne sind. Der Hohn ist: Als ich Sportdirektor war, haben wir sie gleich sieben mal gewonnen. Dann war es ganz leicht.
Das könnte den Deutschen heute Hoffnung machen…
Die laufen dem schon zwanzig Jahre nach, da baut sich eine Barriere auf. Das ganze Drumherum kriegt eine negative Attraktion. Sie haben eh viel probiert, aber sind den Fluch nie losgeworden. Wenn du aber mal gewonnen hat, geht das zweite oder dritte Mal viel leichter. Dann strahlst du plötzlich auch eine Lockerheit aus. Aber man muss auch sagen: Als Gastgebernation hast du es auch schwerer. Das ist nicht wie beim Finnen, der runterfährt und eh nichts versteht. Auf die Deutschen und Österreicher strömt viel ein. Da kommt es auch sehr auf ein gutes Coaching an, den Sportler da gut durch zu manövrieren.
Was macht einen guten Tournee-Coach aus? Waren Sie einer?
Die Ruhe. Die muss man ausstrahlen. Ich war, glaube ich, ein sehr guter Entwickler, wenn es darum geht, einen Athleten langfristig in die richtige Spur zubringen. Im Wettkampf selbst gab es coolere. Aber das gibt es oft. Trainer, die lange an der Entwicklung eines Springers arbeiten und dann im Wettkampf ungeduldig sind. Weil er die Belohnung endlich haben will. Andere sind nicht so gut, aber im Wettkampf der Revolverheld. Ich war als Springer der Revolverheld, als Trainer nicht so. Daraus habe ich als Sportdirektor gelernt.
Heute ist Skispringen eine große Datensammlung. Ist für das intuitive wie zu Ihrer Zeit noch Platz?
Als Sportler war ich sehr intuitiv. Ich war überrascht, was ich geschafft habe, gemessen an dem, was ich gewusst habe. Ich habe es gespürt. Als Trainer war das anders. Ich habe versucht, das Springen vom Sportwissenschaftlichen, Physikalischen, Psychologischen her zu durchdringen. Das gibt es heute kaum mehr, das wird alles aufgeteilt. Da hatte meine Generation, Leute die früh aufgehört haben um sich Wissen zuzulegen, ein anderes Portfolio.
In welchem ihrer Erben erkennen Sie sich wieder?
Werner Schuster geht in eine ähnliche Richtung, auch wenn er ein anderer Typ ist. Auch Alex Stöckl oder Thomas Thurnbichler. Oder Mika Kojonkoski, den ich nach Österreich geholt habe. Er hatte einen besonderen Blick auf die Szene.
Was sich beharrlich verändert, sind Regeln. Ist der Sport komplizierter oder gerechter geworden?
Ich denke, dass er gerechter geworden ist. Es ist immer darum gegangen, den Sport sicherer zu machen und Chancengleichheit zu schaffen. Wobei sich das Skispringen auch schon lange das hehre Ziel setzt, nicht nur eine Sportart für die drei reichsten Nationen zu sein. Wir haben es versucht, auch das einfach zu halten. Sodass es auch für Bulgaren oder Esten möglich ist, Weltklasseleistungen zu bringen, wenn er entsprechend begabt und gut trainiert ist.
Kriterien, auf die auch das IOC wert legt…
Ja, auch wenn man manchmal übers Ziel hinausgeschossen ist. Wie viele Leute können beim Skifahren mitfahren? Bei einem der letzten Super-G´s sind, glaube ich, elf Österreicher mitgefahren. Beim Skispringen hast du als Topnation fünf Startplätze und kannst über die Saison vielleicht noch ein oder zwei über den Continental Cup hinzugewinnen. Da wird es dann schon sehr eng.
Vor allem für den Nachwuchs …
Genau. So etwas Ähnliches ist auch passiert als man wohlmeinend das Preisgeld auf die ersten 30 verteilt hat und damit jetzt fast erbärmliche Preisgelder bei einem normalen Weltcup bezahlt. Gemessen an den Einschaltquoten. Damit machst du die Sportart kleiner als sie sein könnte.
Die aktuelle Veränderung – das verschärfte Anzugreglement – resultierte aus dem WM-Skandal um die Norweger. Hat die Neuerung den Sport verändert?
Das weiß man nie so genau. Es kann schon sein, dass man den Siegertyp damit verändert hat. Wenn man die Anzüge enger, den Schritt definierter macht, dann verändert das was. Normal denkst du, dann müssten eigentlich die sprungkräftigeren Typen bevorzugt sein, die nicht so auf die Fläche des Anzugs angewiesen sind. Andererseits bedeuten engere Anzüge auch höheres Tempo, bei dem man nicht weiß, wer damit am besten umgehen kann.
Im Moment sieht es nach Domen Prevc aus, der schon fünf Siege geholt hat.
Das hätte ich nicht erwartet. Da habe ich eher gedacht, den wird es ein bisschen zurechtstutzen. Weil gerade bei seinem Weltrekordflug im Frühjahr ersichtlich war, dass er schon deutlich von dem Anzug profitiert hat, den er so nicht mehr tragen darf. Er ist wirklich erstaunlich. Aber grundsätzlich kann man sagen, dass die motorisch begabten, die lernfähig sind und schnell merken, wo etwas zu holen ist, im Vorteil sind.
Auch die Deutschen?
Warum nicht. Es ist ganz interessant, nachdem Eisenbichler aufgehört hat und Wellinger massiv kämpft, machen mit Philipp Raimund und Felix Hoffmann jetzt andere Druck.
Es gibt nur eine Handvoll Springer, die über die Jahre mit wenigen Durchhängern immer oben stehen, so wie ihr Landsmann Stefan Kraft. Was ist an Athleten wie ihm anders?
Bei jemandem wie ihm kommt auch die Routine, die Erfahrung mit dem Erfolg dazu. Er weiß einfach: Wenn er im Sommer mal hinterher springt, weil er zwei, drei Kilo mehr hat – im Winter ist er wieder dabei. Außerdem – ich spekuliere jetzt – scheinen kleinere Springer einen Vorteil zu haben. Das sieht man auch bei den Japanern, den Slowenen und am Bulgaren Zografski oder dem Franzosen Foubert.
Zum Abschluss: Wagen Sie eine Prognose? Wird Prevc dominieren?
Ich will es nicht ausschließen, weil er gezeigt hat, dass er auf ganz unterschiedlichen Schanzen gut mithalten kann, auch auf der Normalschanze. Vorher hat er eher den Stempel zwischen Genie und Wahnsinn gehabt. Entweder er springt ganz runter, auf den Schanzenrekord. Oder er verliert gleich mal 30 Meter. Das macht ihn stark, er scheint einen Kompromiss am Schanzentisch gefunden zu haben.
INTERVIEW: PATRICK REICHELT