„Ich gebe niemals auf“

von Redaktion

DFB-Keeperin Ann-Kathrin Berger über ihre Karriere, den besiegten Krebs und Opa Herbert

Ballfixiert: Ann-Kathrin Berger ist mit ihren Rettungstaten eine Bank im Team der DFB-Frauen. © IMAGO

Bezugsperson: Bergers Opa Herbert. © Ulmer/Imago

„Fußballerin des Jahres“: Berger mit Trophäe. © IMAGO

„Ihr linker Arm, ausgefahren in eine andere Dimension“: So beschrieb die New York Times die jetzt schon legendäre Parade von Ann-Kathrin Berger im EM-Viertelfinale gegen Frankreich. © Schueler/Imago

Frankfurt – Ann-Katrin Berger gilt nicht nur als Deutschlands beste Torhüterin, sondern auch als Vorbild, eine Krankheit wie den Krebs zu besiegen. Ein Gespräch über Weihnachten im Schwabenland, den Fußball in den USA, die EM in der Schweiz und einen Großvater, der entscheidenden Anteil an der Karriere hatte. Die 35-Jährige hat kürzlich entschieden, bis zur WM 2027 in Brasilien weiterzuspielen.

Hallo Frau Berger, wo und wie haben Sie ihre Weihnachtstage verbracht?

Bei meiner Mutter. In der Heimat kann man am besten runterfahren, weil man wie die Tochter behandelt wird. Bei uns als Schwaben kommen die typischen Maultaschen mit Würstchen und Kartoffelsalat auf den Tisch. Meine Schwester lässt sich für den Nachtisch jedes Mal ein neues Rezept einfallen.

Viele Leute bezahlen horrende Preise, um Weihnachten und Silvester in New York zu verbringen. War das keine Option?

Nee. Das ist zu weit weg und zu kalt! Ich sehe New York zehn Monate im Jahr. Zu Hause ist Weihnachten am schönsten, weil ich einen Rückzugsort habe, wo ich mich einfach unfassbar wohlfühle. Das wird sich auch so schnell nicht ändern. Ich vergesse nicht, woher ich komme.

Sie spielen bereits seit 2014 im Ausland. Haben Sie dadurch einen anderen Blick auf Deutschland bekommen?

Auf jeden Fall. Für meine Entwicklung war es sehr wichtig, andere Kulturen und Sitten kennenzulernen. Ganz simpel: Die deutsche Küche oder die deutsche Pünktlichkeit lernt man mehr zu schätzen, wenn man länger weg ist.

Sie haben für Turbine Potsdam, bei Paris St. Germain, Birmingham City und FC Chelsea gespielt, ehe sie zu Gotham FC gingen, wo Sie gerade US-Meisterin geworden sind. Was war der prägendste Ort?

Jede Station hat mich geprägt – ob auf oder neben dem Fußballplatz. Ich habe dadurch auch verschiedene Fußballkulturen kennengelernt. Über längere Zeit so weit weg von zu Hause zu leben, zeigt mir einfach, dass ich ein absoluter Familienmensch bin, weil das Heimweh teilweise schon sehr groß ist.

Sie spielen seit 2024 bei einem US-Club aus dem Großraum New York, wo auch die deutsche Männer-Nationalelf einige Spiele bei der WM 2026 austragen wird. Wie groß ist der Stellenwert des Fußballs in Ihrer Wahlheimat?

Man interessiert sich in Amerika in erster Linie für Basketball, Baseball oder American Football. Aber auch der Fußball hat seine Fans. Bei den Männern gehen eher bekannte Spieler in die USA, die am Ende ihrer Karriere sind. Wenn man das noch ändern könnte, würde das Interesse steigen.

Sie können als US-Champion also unerkannt durch die Straße gehen?

New York ist viel zu groß dafür, dass die Leute mich erkennen. Ich muss keine Mütze aufsetzen und keinen Hoodie überziehen.

Warum hat es eigentlich so lange gedauert, bis Sie Deutschlands Nummer eins geworden sind? Ihre Beförderung hat sich erst Horst Hrubesch vor den Olympischen Spielen getraut.

Da müssen Sie die Trainer und Trainerinnen zuvor fragen. Der Frauenfußball war früher vielleicht nicht reif, dass außerhalb von Deutschland die Entwicklung der Spielerinnen genau verfolgt wurde. Für mich war das nach meinem ersten Wechsel nach Paris fast klar. Aber es hat ja noch geklappt.

Sie haben ein Buch herausgebracht mit dem Titel „Das Spiel meines Lebens – wie ich den Krebs besiegte und Deutschlands beste Torhüterin wurde“. Was war die Motivation?

(überlegt) Am Anfang dachte ich eigentlich, dass ich meine Geschichte nicht erzählen möchte, denn ich fand mein Leben recht langweilig. Dann haben gewisse Personen in meinem Umfeld mir gesagt, dass mir gar nicht bewusst sei, wie viel ich zu erzählen hätte – und ich vielen damit helfen könne. Das war nach meiner Erkrankung immer mein Ziel, andere mit einer Krebsdiagnose zu erreichen. Diese Aufgabe steckte tief in mir. Und natürlich möchte ich auch Mädchen vermitteln, die von einer Karriere als Fußballerin träumen: Um ganz nach oben zu kommen, muss man auch durch tiefe Täler gehen.

Sie sind zweimal an Schilddrüsenkrebs erkrankt. Das offen anzusprechen, war aber nur möglich, nachdem Sie geheilt waren?

Natürlich ist es für mich einfacher, darüber zu sprechen, weil ich die Krankheit zweimal besiegt habe. Aber auch wenn es mehr Komplikationen gegeben hätte, behaupte ich mal, dass ich damit nicht anders umgegangen wäre. Der Sport hat mir den Willen vermittelt, niemals aufzugeben – dafür bin ich dankbar. Meine mentale Stärke hat mir beim Umgang mit dem Krebs definitiv geholfen.

Sie schildern anschaulich, welch wichtige Rolle ihr Großvater in Ihrem Leben spielt. Er war Psychologe und hat als Erster erkannt, dass in Ihrer Unruhe als Kind auch eine Stärke steckt. Ist Opa also Ihr Entdecker?

Generell haben mir meine Mama und mein Opa sehr geholfen, im Fußball weiterzukommen. Sie haben mir nicht die taktischen und technischen Dinge erklärt, aber mich als Menschen gefördert, weil sie gesehen haben, wie engagiert ich im Fußball war. Auf meiner Position muss man Ausstrahlung, Disziplin und Leidenschaft haben. Da haben sie mich wirklich ruhiger gemacht: Es bringt ja nichts, als Torhüterin hektisch zu sein. Ich würde mal sagen: Ich bin auf dem Platz ein komplett anderer Mensch als neben dem Platz. Mitunter kommen im Spiel noch meine wilden Zeiten zum Vorschein, aber danach habe ich mich so ausgepowert, dass ich privat ganz ruhig bin (lacht).

Ihr Opa Herbert war fast ein heimlicher Star der EM in der Schweiz. Seine Rolle haben Sie während des Turniers öffentlich gemacht. Mit 92 Jahren war er sogar im RTL-Jahresrückblick mit Ihnen im Studio.

Ich wollte einfach zeigen, dass es hinter den Athleten so viele Menschen gibt, die an einer Karriere mitwirken. Das wird manchmal vergessen. Deshalb fand ich die Frage auf einer Pressekonferenz in Zürich von Ihnen sehr wichtig. Wir können jeden Tag darüber reden, warum ich den Ball nicht festgehalten oder den Ball fünf Meter weiter nach links gespielt habe. Diese Standardfragen sind irgendwann langweilig. Ich glaube, wenn es nicht allzu privat wird, darf man auch über den Menschen mehr kennenlernen. Und Opa hat eine unfassbar wichtige Rolle in meinem Leben eingenommen.

Er hat im Zuge des Zweiten Weltkriegs schlimme Dinge erlebt, ohne das näher zu vertiefen. Haben Sie von seinen Erfahrungen profitiert, um ihr eigenes Schicksal besser einzuordnen?

Ja. Er hat mir eine komplett andere Perspektive vermittelt. Was er erlebt hat, können sich viele nicht vorstellen. Deswegen habe ich auch eine so starke Willenskraft: Weil ich mir immer wieder vor Augen führen kann, was mein Großvater durchgemacht hat. Ich will nicht sagen, dass meine Rückschläge lächerlich waren, aber sie haben dadurch ein anderes Gewicht bekommen.

Zurück zum Fußball: War das EM-Viertelfinale gegen Frankreich im Sommer das Spiel ihres Lebens? Die New York Times hat zu ihrer sagenhaften Parade geschrieben: „Ihr linker Arm, ausgefahren in eine andere Dimension. Wie eine exquisite Zeitmaschine deutscher Ingenieurskunst.“

Hört sich witzig an. Ich wusste zu dem Zeitpunkt nicht, wie lang mein Arm ist. Daher trifft es die Beschreibung sehr gut. Ich hatte eine solche Parade vorher noch nie gemacht, sie kann man nicht trainieren oder einstudieren.

Sie haben im Halbfinale gegen Spanien wieder überragend gehalten, bis in der Verlängerung eine Unaufmerksamkeit zur Niederlage führte. Danach haben Sie sich das Finale England – Spanien mit der Familie ihrer Lebensgefährtin Jess Carter angeschaut. War das bereits Teil des Verarbeitungsprozesses?

Nach dem Halbfinale war ich die ersten Tage furchtbar enttäuscht. Aber in einer Beziehung darf man sich einfach auch für den Partner freuen, muss seine Gefühle beiseite legen und ihn unterstützen. Genau das habe ich getan. Natürlich wäre es noch schöner gewesen, wenn ich im Finale auf dem Platz gestanden hätte.

Und jetzt freuen Sie sich auf die WM 2027? Sie haben ja kürzlich verkündet, weiterhin für die deutsche Nationalelf zu spielen?

Brasilien ist ein schönes Land, in meinem US-Team spielen einige Brasilianerinnen, die immer von ihrer Heimat schwärmen. Diese Nation ist fußballverrückt. Und eine Weltmeisterschaft ist nun mal das Größte, das man im Sport spielen kann.. Ich hatte ein gutes Gespräch mit Bundestrainer Christian Wück und Torwarttrainer Michael Fuchs, aber ich musste erst einmal dieses emotionale Jahr für mich verarbeiten. Vielen ist gar nicht bewusst, welche Höhen und Tiefen solch ein Turnier in einem Menschen auslöst. Daher wollte ich diese Entscheidung mit ein bisschen Abstand und mit Vernunft treffen. Ich freue mich wirklich, was mit dieser tollen Mannschaft vor uns liegt. Wir haben noch große Ziele, aber erst einmal lasse ich mich zuhause verwöhnen, bevor ich dann im nächsten Jahr wieder richtig an Fußball denke.

INTERVIEW: FRANK HELLMANN

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