Volkes Stimme?

von Redaktion

Medienforscherin rät Journalisten, sich stärker von „Schreihälsen“ im Netz abzugrenzen – Medienmacher verteidigen die Kommentarfunktion

Von Joachim Mangler und Rudolf Ogiermann

Die Medienwissenschaftlerin Elizabeth Prommer fordert von klassischen Medien wie Tageszeitungen, Radio und Fernsehen, sich stärker von „Schreihälsen“ im Internet abzugrenzen. „Journalisten lassen sich teilweise extrem durch Reaktionen im Netz irritieren und vermitteln dann das Gefühl, das ist ,die Meinung‘ da draußen“, sagte Prommer, die das Institut für Medienforschung an der Universität Rostock leitet. Nur etwa drei Prozent der Leser, Hörer oder Zuschauer würden ihre Meinung zu bestimmten Inhalten über Soziale Netzwerke veröffentlichen oder per Mail kundtun. „Das zeigt: All das, was im Netz kommentiert, geschrien und gehetzt wird, ist nicht ,die Meinung‘ der Allgemeinbevölkerung“, erklärte Prommer. Bei Zeitungen oder Radio- und Fernsehsendern, bei denen eine Registrierung notwendig ist, sei die Zahl der Kommentierer sogar verschwindend klein, sagte Prommer unter Berufung auf die Ergebnisse mehrerer Studien.

Die Medien könnten sich angesichts der gering ausgeprägten Neigung zu öffentlichen Äußerungen bei nahezu allen Lesern, Hörern oder Zuschauern überlegen, die Kommentarfunktion einfach abzuschalten und ihre Inhalte nicht kommentieren zu lassen. Das habe nichts mit Zensur zu tun, meinte die Medienwissenschaftlerin.

Prommer gibt außerdem zu bedenken, wie viel Arbeitskraft die Betreuung der Kommentarfunktion benötige, um dort schlimmste Hetzereien und illegale Äußerungen zu löschen. Dies sei Arbeitszeit, die besser in Redaktionsarbeit investiert werden solle. Journalisten könnten dann wieder hinaus auf die Straße und in die Wohnbezirke gehen und mit den „echten Leuten“ reden. Denn auch in der Krise der klassischen Medien zeige sich, dass auf Journalisten, die sauber recherchierten und die Dinge einordneten, nicht verzichtet werden könne.

Der Sprecher des Deutschen Journalistenverbands, Hendrik Zörner, sieht die Einschätzung Prommers kritisch. Die Abschaffung der Möglichkeit zum Kommentieren wäre seiner Ansicht nach ein Rückschritt. Die Foren seien eine Antwort der Nachrichtenportale im Netz auf das Bedürfnis vieler Menschen, sich zu äußern. Auch wenn viele Kommentare gelöscht werden müssten, sei es doch wichtig für die Menschen, sich zu Wort zu melden.

Eine Auffassung, die auch Thomas Kaspar teilt. Chefredakteur von Ippen Digital, dem Internetportal unserer Zeitung. „Wenn wir den Vorwurf der ,Lügenpresse‘ ernst nehmen wollen, dann müssen wir den Dialog mit den Lesern suchen und zulassen“, so Kaspar. Das bedeute nicht, dass jeder Kommentar veröffentlicht werden könnte. Nur zehn Prozent durchliefen ein selbstlernendes Computerprogramm ohne Beanstandung, weitere 15 würden sofort verworfen, der ganze Rest von speziell geschulten Mitarbeitern einzeln geprüft.

Kaspar verteidigte die Möglichkeit, Aliasnamen zu verwenden. Eine gewisse Grundanonymität müsse gewahrt werden, weil insbesondere Frauen bei der Verwendung ihres richtigen Namen ansonsten Opfer von Stalkern werden könnten.

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