Manche raunen, es sei der umstrittenste Film des Jahres. Morgen zeigt die ARD um 20.15 Uhr „Unterwerfung“ nach dem Roman von Michel Houellebecq. Der französische Autor erzählt von einem Frankreich im Jahr 2022, das einen muslimischen Präsidenten wählt, um die rechtsextreme Marine Le Pen zu verhindern. Die (männliche) intellektuelle Elite des Landes ordnet sich ohne großen Protest in die neue Gesellschaftsordnung ein. Im Anschluss an die Ausstrahlung diskutiert die Runde bei Sandra Maischberger über die Themen des Buchs und seiner Verfilmung. Wir stellen die wichtigsten Aspekte dieses spannenden TV-Abends vor:
Der Streit ums Buch
Michel Houellebecqs Roman „Unterwerfung“ kam am 7. Januar 2015 in die französischen Buchläden. Es war der Tag, an dem islamistische Terroristen einen Anschlag auf die Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ verübten und zwölf Menschen ermordeten. Das Blatt war an diesem Tag mit einer Karikatur erschienen, die Houellebecq als Seher persifliert: „2022 mache ich Ramadan.“ Trauer und Verzweiflung über die Bluttat bestärkten jene, die „Unterwerfung“ für „islamophob“ halten. Doch wer das behauptet, hat nicht richtig gelesen. Vordergründig geht es um die Machtübernahme einer gemäßigten islamischen Partei in Frankreich und den damit verbundenen Umbau der Gesellschaft nach muslimischen Regeln. Tatsächlich aber seziert Houellebecq die Kollaboration der bürgerlichen Parteien mit den neuen Machthabern. Der Autor zeigt schonungslos, dass die Demokratie niemanden mehr hat, der sie verteidigt. Nicht ohne Grund nennt er seine Hauptfigur hier nicht Michel wie in seinen anderen Büchern, sondern François – ins Zentrum stellt er also Frankreichs Jedermann. Und der, so das resignierte Fazit des Romans, hat nach einer „Art Anstandsfrist“ keine Probleme, sich mit der neuen Ordnung anzufreunden – zumal Patriarchat und Polygamie locken. François’ Desinteresse am Untergang der demokratischen, laizistischen Ordnung ist das wirklich Erschreckende dieser Geschichte.
Der Autor
„Sind Sie ein Provokateur?“, wurde Michel Houellebecq einmal gefragt. „Ja, von Zeit zu Zeit, wenn ich mich langweile.“ Der 60-Jährige ist nicht nur einer der erfolgreichsten Autoren der Gegenwart, sondern auch einer der umstrittensten und damit spannendsten. Mit seinen Romanen „Ausweitung der Kampfzone“ (1994), „Elementarteilchen“ (1998), „Plattform“ (2001), „Die Möglichkeit einer Insel“ (2005) und zuletzt „Unterwerfung“ (2015) betreibt Houellebecq immer auch Gesellschafts- und Gegenwartsanalyse. Für „Karte und Gebiet“ (2010) wurde er mit dem Prix Goncourt geehrt, dem wichtigsten französischen Literaturpreis.
Der Theatererfolg
Das Münchner Publikum hat Glück: Derzeit gastiert Edgar Selge mit „Unterwerfung“ an den Kammerspielen. Der zweieinhalbstündige Monolog, der auch Basis des TV-Films ist, wird am Dienstag und Mittwoch nochmals zu sehen sein (je um 19.30 Uhr); Restkarten gibt es mit etwas Glück an der Abendkasse. Die Inszenierung kommt vom Deutschen Schauspielhaus Hamburg, dessen Intendantin Karin Beier hat sie selbst eingerichtet. Bereits nach der Uraufführung im Februar 2016 löste die Bühnenadaption von Houellebecqs Roman Begeisterung bei Zuschauern und Rezensenten aus. „Selge, in einem ausgestanzten Kreuz herumturnend, servierte die bitterböse Analyse so brillant wie liebenswürdig“, schrieb unsere Kritikerin.
Die Verfilmung
Die Hamburger Inszenierung ist Ausgangs- und Bezugspunkt des ARD-Films „Unterwerfung“. Zunächst folgt der Zuschauer Edgar Selge auf seinem Weg ins Schauspielhaus, vorbei an eskalierenden Demos im Schanzenviertel. In der Maske bereitet sich der Schauspieler auf die Vorstellung vor. Selge, der in München lebt, wurde als einarmiger „Polizeiruf“-Kommissar Tauber beim TV-Publikum berühmt – und wird auch in diesem Film auf diese Rolle angesprochen. Ausgehend vom Bühnenmonolog, der in einem klug reduzierten Raum angesiedelt ist, springt „Unterwerfung“ immer wieder in Spielszenen nach Paris, wo Selge als François wichtige Momente des Romans durchlebt. In weiteren Rollen sind zu sehen Matthias Brandt als Präsident der Islamischen Universität Paris-Sorbonne; Alina Levshin als François’ jüdische Ex-Freundin, die nach Israel emigriert, als die Muslime an die Macht kommen; André Jung als Ex-Geheimdienstler – und Karin Beier, die sich als Intendantin und Regisseurin selbst spielt.
Der Regisseur
Das Drehbuch zu „Unterwerfung“ stammt von Karin Beier und Titus Selge, der den Film inszeniert hat. Der 52-Jährige, der sich als Regisseur diverser „Tatort“- und „Polizeiruf“-Folgen einen Namen gemacht hat, ist der Neffe von Edgar Selge. „Ich habe vorher noch nie mit meinem Onkel gearbeitet, obwohl ich ihn seit meinem fünften Lebensjahr als Schauspieler auf der Bühne und im Film verfolge und schätze“, sagt Selge. „Am Set hat unsere Verwandtschaft keine Rolle gespielt.“ Die ARD-Produktion ist kein abgefilmtes Theaterstück. Vielmehr ist es Selge gelungen, den Bühnenabend zu nutzen, um mit und aus ihm ein spannendes, unterhaltsames und kluges Stück Fernsehen zu machen.