Nein, einfach macht der Professor es dem aus rund 50 Leuten bestehenden Publikum an diesem Sommerabend nicht. Bernhard Pörksen, Medienwissenschaftler aus Tübingen, liebt den verschlungenen Satzbau, das besondere Wort („gleichsam“), die kunstvolle Pause. Und dennoch: Wer sich auf seine Überlegungen zum aktuellen Zustand unserer Kommunikation einlässt, verlässt das kleine Café nahe der Münchner Universität mit einigen neuen Erkenntnissen.
Pörksens Thema ist die digitalisierte Welt mit all ihren ständig klingelnden und blinkenden Smartphones. Zu Beginn erzählt der Medienwissenschaftler die Geschichte von Martha Payne. Martha ist eine neunjährige Schülerin aus Schottland, die im Jahr 2012 beschließt, über das (qualitativ überschaubare) Essen in ihrer Schule zu berichten. Ihr Blog findet in kurzer Zeit weltweit Anhänger, große Medien berichten über das kleine Mädchen.
Als die Schulbehörde Martha das Fotografieren in der Kantine zwischenzeitlich verbietet, rollt eine beträchtliche Empörungswelle an. Martha wird vorübergehend zum Internetstar. Ihr Schicksal zeigt stellvertretend, dass inzwischen jeder selbst zum Publizisten werden kann. Wo früher Journalisten und Medienhäuser als Schleusenwärter zur Öffentlichkeit fungierten, reichen heute ein paar Klicks, das richtige Foto zur richtigen Zeit, das richtige Thema im passenden Moment. Die weltweite Vernetzung durch das Internet birgt also gewaltige Potenziale – und auf der Gegenseite gewaltige Probleme.
Diese Ambivalenz betont auch Pörksen. In seinem lesenswerten Buch beschreibt er aber besonders die Schattenseiten der „Bildschirmgesellschaft“. Die manipulative Kraft von gefälschten Nachrichten, durch einen unachtsam hochgeladenen Beitrag zerstörte Existenzen – die Liste der digitalen Grausamkeiten ist lang.
Zwar will Pörksen, das lässt er durchblicken, bei aller kritischen Analyse kein Kulturpessimist sein. Aber auch ihm fällt auf: Die „Debatten“ bei Facebook, Twitter & Co. führen derzeit bei vielen Menschen zu Resignation – oder gar zu Rufen nach staatlicher Regulierung. Für ihn aber, sagt der Medienwissenschaftler, stecke in der aktuellen Situation ein „großer und noch unverstandener Bildungsauftrag – und zwar die Frage, wie wir künftig miteinander reden und leben wollen.“
Deshalb ist es laut Pörksen notwendig, dass künftig alle Menschen grundlegende journalistische Arbeitsweisen beherrschen. Für den Umgang mit Informationen in der digitalisierten Welt gelte etwa: „Sei skeptisch! Prüfe deine Quellen! Lass die andere Seite zu Wort kommen!“
Nun klingt das alles nicht schlecht, allerdings lässt es eine entscheidende Komponente zunächst außer Acht. Was, wenn sich die lauten, gereizten, manipulativen Teilnehmer der sozialen Netzwerke – Pörksen nennt sie hübsch die „Giftzwerge des Universums“ – einer vermeintlichen Objektivität gar nicht verpflichtet fühlen? Was, wenn ein Buch mit Kapiteltiteln wie „Entfesselung des Bestätigungsdenkens“ am Ende doch wieder nur einige Eliten erreicht, die selbst längst wissen, wie sehr die Smartphones und das ständige Online-Sein unser Leben verändern?
Das alles sind rhetorische Fragen. Denn am Ende bleibt (leider) der Eindruck: Pörksens Diagnosen dürften die gefühlt größer werdende Gruppe der Gereizten kaum erreichen. Maximilian Heim