Wie das so ist: Wenn man gerade bemerkt, dass etwas Aufregendes vor sich geht, ist es auch schon wieder vorbei. So war das auch bei den sagenumwobenen „Swinging Sixties“, als Musik und Popkultur das Lebensgefühl einer ganzen Generation veränderten. Dass die jungen Menschen, die sich die Haare wachsen ließen und wilde Musik hörten, eine regelrechte Bewegung darstellten, war ihnen anfangs gar nicht klar. Man wollte, was Jugendliche seit jeher wollen: sich abgrenzen, finden, ausprobieren.
Dass es eine ganz besondere Zeit war, ist vielen erst im Rückblick klar geworden. Und natürlich wurde auch sehr schnell sehr viel verklärt. ARD-alpha entführt seine Zuschauer nun von heute ab 20.15 Uhr bis Mittwoch in das glückselige Jahrzehnt und zwar – das ist eine sehr hübsche Idee – mit Originaldokumentationen aus der Zeit.
So darf man in „Beat in München“ (1965) erleben, wie langhaarige „Beat-Fans“ durchs sommerliche Schwabing schlendern und in Klubs wie dem „Big Apple“ enthemmt feiern. Zu Wort kommen sie kaum, ein Sprecher erklärt etwas mokant die Welt der Jugendlichen.
Viel halten die Filmemacher nicht von dieser Jugendkultur, das wird schnell klar. Die Altherren-Attitüde ist beim heutigen Betrachten in ihrer Borniertheit zum Schreien komisch. Außerdem stellt man in der Retrospektive fest: In München war tatsächlich ganz schön was los. Woanders auch, und die Titel offenbaren, was die Redakteure davon hielten: „Gammler in Stuttgart“ heißt etwa ein Film.
In einer Gesprächsrunde erinnern sich zwei ausgewiesene Kenner der Zeit. Zum einen die Schauspielerin Cleo Kretschmer, die mit den improvisierten Zeitgeist-Filmen von Klaus Lemke bekannt wurde, und Klaus Voormann, der Mann, der mit den Beatles die Nächte durchmachte, als die Pilzköpfe noch niemand kannte, und der heute noch Kontakt zu den verbliebenen Pop-Legenden hat.
Voormann schildert dann sehr anschaulich, welch immensen Effekt die Rockmusik auf die Jugend hatte – so was hatte es zuvor einfach nicht gegeben und stellte die Welt für die Jugendlichen damals auf den Kopf. Man übersieht das aus der heutigen Perspektive gerne: Die Musik und Lebensart berührte die Menschen wirklich und veränderte alles.
Aber es geht in der Themenwoche nicht nur um Musik und Popkultur. Auch die revolutionäre Mode der Sixties spielt eine Rolle, etwa in „Neue Mini-Mode“. In einer Zeit, in der viele Frauen auf dem Land noch Kopftuch trugen (ja, so war das in Deutschland), war ein Minirock nicht nur ein Kleidungsstück, sondern ein gesellschaftspolitisches Statement. Auch das wurde von den damaligen Kommentatoren nicht unbedingt goutiert. Kurzberockte Frauenbeine zeigte man aber trotzdem gern und ausführlich.
Und auch das seinerzeitige Tabuthema Sex beschäftigte die Chronisten, und die Panik vor schrankenloser Verlotterung ist regelrecht mit Händen zu greifen. Dabei sind die jungen Leute im Gespräch meist fast schon rührend bieder. Man träumt von der großen Liebe, und Sex gehört halt dazu. Allein diese banale Erkenntnis brachte die hüftsteife Elterngeneration in Rage.
Kurzum: Es ist eine sehr liebevoll zusammengestellte Rückschau mit seltenem Archivmaterial, das einmal mehr beweist: Früher war nicht alles besser. Schlechter freilich auch nicht unbedingt. Und Cleo Kretschmer klagt dann noch über die verlotterte Jugend von heute. Es ändert sich nie etwas…