Einige Begegnungen waren mir vergönnt mit Gunther Witte. Das erste Mal traf ich ihn bei einem der inzwischen zahlreichen Jubiläen des „Tatorts“, vor … na ja, sagen wir: vielen Jahren. Er unterschied sich angenehm von den vielen dröhnenden Wichtigtuern und Plappermäulern in der Branche. Ein höflicher, bescheiden wirkender Mann mit guten Manieren, feinem Sinn für Humor und einer fast beamtenhaften Anmutung von Redlichkeit und Korrektheit.
Aber was für ein Baby hat er da in die Welt gesetzt! Wenn es etwas gibt, um das die Konkurrenz die ARD im fiktionalen Bereich beneidet, dann ist es der „Tatort“. Oft ist diese zum Mythos gewordene Bastion der gediegenen Fernsehunterhaltung angegriffen worden, nach wie vor behauptet sie sich prächtig, auch bei den jungen Zuschauern mit steigender Tendenz.
Die Gefährdungen kamen nicht immer von außen. Was musste das Format (und mussten die Zuschauer) nicht schon alles aushalten: fröhlich-dämlichen Macho-Kitsch, belehrendes Betroffenheitsgefasel, krachend gescheiterte Versuche, große Action mit kleinem Budget herbeizuzaubern, Trübsinnsorgien, peinlich bemüht, Tiefsinn vorzublenden, substanzloses Geblödel und viele Zumutungen mehr, von kleineren Misslichkeiten wie Modetorheiten und anbiedernder Sprache ganz abgesehen.
Dennoch, die Zuschauer haben dem „Tatort“ die Treue gehalten, weil erstens Gunther Wittes Konzept genial war und ist – das Format und der Sendeplatz bürgen für die Kontinuität, die jeweiligen Schauplätze und Hauptfiguren variieren – und weil zweitens wesentlich öfter als nicht die schwierige Balance zwischen Erwartung und Überraschung doch gelingt: der berechtigten Erwartung, eine spannende Krimigeschichte erzählt zu bekommen, und dem Wunsch, sie so eben zum ersten Mal erzählt zu bekommen.
Und so ist der „Tatort“ neben seinem ersten Daseinszweck als Entspannung und Unterhaltung zu einer Kulturinstitution geworden, zum Objekt wissenschaftlichen Forscherdrangs. Zum audiovisuellen Nachschlagewerk der bundesrepublikanischen Geschichte, zur Spielwiese wie zum Ernstfall für unzählige Regisseure, Schauspieler, Autoren, Redakteure. Nicht zuletzt zum Forum, auf dem die Gesellschaft die Grenzen zwischen erlaubt und verboten verhandelt, sich ihrer selbst vergewissert.
Und das alles, weil ein kluger, feiner, bescheiden auftretender Mann 1969 eine Vision hatte, was Fernsehen im besten Falle leisten könnte. Und weil er eine gute Idee hatte. Und weil der Sender ihn machen ließ. Ich ziehe den Hut, lieber Gunther Witte, und sage Danke. Nicht nur als Schauspieler, der das Privileg hat, Deiner Idee mit am längsten dienen zu dürfen, sondern in erster Linie als Zuschauer.