Wann ist ein Mann ein Mann?

von Redaktion

Rasierklingenhersteller Gillette provoziert mit Werbespot Diskussion um veraltete Stereotypen

VON KATJA KRAFT

Hansjörg Zimmermann hielt das alles für einen Scherz. Bis der Werbeexperte erfuhr, dass sich tatsächlich einige Internetnutzer aufregen über den neuen Werbespot des Rasierklingenherstellers Gillette. Die Handlung: Erst sehen wir Grapscher, Chauvis und ihre Möchtegern-Männlichkeit vor sich hertragende Proleten; dann fragt die Stimme aus dem Off: „Is this the Best a Man can get?“ – Ist das wirklich das Beste im Mann? Um im Anschluss Männer zu zeigen, die es besser machen; die ihre Töchter zu selbstbewussten Frauen erziehen; die andere respektvoll behandeln; die Gewalt verurteilen. Ein Aufruf zum Mut, ein neues Männerbild zu leben.

Einer, der in den Sozialen Netzwerken viel Zustimmung hervorruft. Doch eben auch Gegenwind bekommt. Ein Beispiel: Allein bei Youtube wurde der Spot knapp 17 Millionen Mal aufgerufen, bis Redaktionsschluss hatten ihn knapp 850 000 Nutzer negativ bewertet. Man wolle sich von einem Werbespot keine Verhaltensvorschriften machen lassen, tönen manche Nutzer. Zimmermann, Professor für Markenkommunikation und Werbung an der Hochschule Macromedia München, kann es nicht fassen. „Ich schäme mich für mein Geschlecht. Dass sich jetzt ein paar über diesen tollen Spot aufregen, finde ich peinlich“, sagt er. „Kinder, wir leben im Jahr 2019 – da ist die Frau nicht mehr dafür verantwortlich, dass der Kaffeeduft durch die Tür ins Schlafzimmer dringt und der Mann glücklich ist.“ Wenn jetzt manche zum Gillette-Boykott aufrufen, kann der 59-Jährige nur milde lachen. „Das sind leere Drohungen.“ Die Firma müsse keine Angst vor weniger Kunden haben.

War’s vielleicht sogar Kalkül? Hoffte der Konzern auf öffentlichkeitswirksame Debatten in den Sozialen Netzwerken? Zimmermann bezweifelt das. „Denn wenn man etwas Virales gezielt plant, geht das meistens schief.“ Aus eigener Erfahrung weiß er: Werbeaktionen, bei denen man sich sicher war, dass sie im Internet durch die Decke gehen, scheiterten – andere generierten überraschend tausende Klicks. „Und wenn’s nur ist, weil eine Katze durchs Bild läuft und sich auf den Rücken legt.“

Der Gillette-Spot sei seiner Analyse nach nicht wie eine bewusste Provokation angelegt. „Dafür finde ich ihn nicht aggressiv, nicht laut genug.“ Jahr für Jahr fährt der Hochschulprofessor mit seinen Studenten zu den Cannes Lions, dem größten Werbefestival der Welt. Er erkennt dort einen Trend der Firmen weg vom reinen Produktmarketing hin zu Social Spots. Heißt: Große Marken geben sich immer mehr Mühe, nicht Produktvorteile zu kommunizieren, sondern gesellschaftliche Themen. Das Ziel: sich einen neuen Anstrich zu geben, die Marke sympathischer, zeitgemäßer darzustellen.

Wie der Pflegeprodukthersteller Dove, der vor einigen Jahren damit begann, Models zu buchen, die nicht den sonst in der Werbung dargestellten Schönheitsidealen entsprachen. „Die Message ist klar: Frauen dürfen Falten und Speckröllchen haben. Die Produkte heißen nicht anti Age, sondern pro Age. Ich fand das so sympathisch und mutig! Denn mit jeder Werbung werden Kinder und Jugendliche, die in der Entwicklung sind, beeinflusst – und allzu oft versaut mit Bildern, die gar nicht der Wirklichkeit entsprechen.“

Stellen wir uns eine Welt vor, in der keine retuschierten Barbies von Plakaten strahlen; in der der klassische Baumarkt-Einkäufer nicht Oberarme wie Popeye hat. Würden veränderte Stereotypen in der Werbung auch die gesellschaftlichen Stereotypen verändern? „Ja, Werbung nimmt starken Einfluss auf jeden Einzelnen.“ Doch letztlich übernehme sie nur die gesellschaftlichen Trends. Als Berater empfiehlt er Firmen: „Seid authentisch, akzeptiert, dass die Gesellschaft sich verändert. Meine Söhne bügeln ihre Hemden selber, da brauchen sie keine Frau dazu. Das muss man in der Werbung auch abbilden.“

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