„So ein Ding muss von alleine laufen“

von Redaktion

Jan Georg Schütte über seinen ARD-Fernsehfilm „Klassentreffen“, bei dem alle Dialoge improvisiert sind

Was machst Du beruflich? Hast Du Kinder?“ – ein Klassentreffen ist mehr als eine feucht-fröhliche Feier, bei der man in Erinnerungen schwelgt. Es ist auch eine Gelegenheit, zu checken, was die anderen im Leben erreicht haben – und wo man selbst steht. „Klassentreffen“ (ARD, heute, um 20.15 Uhr) heißt auch das neue Werk von Jan Georg Schütte, das um einen Abend kreist, an dem sich die Schulkameraden von einst 25 Jahren nach dem Abitur das erste Mal wieder treffen. Das Besondere an diesem Film ist die Tatsache, dass alle Dialoge improvisiert sind.

Warum gerade ein Klassentreffen als Szenario?

Es kommt meiner Arbeitsweise sehr entgegen. Mein Spezialgebiet ist es ja, zusammen mit Schauspielern interessante Biografien zu entwickeln. Und da ist so ein Klassentreffen ideal, denn es geht hier in erster Linie um Biografien. Wer war ich damals, wer bin ich heute? Da liegen ja bei vielen Welten dazwischen.

Die Liebe und der Beruf waren als Grundthemen im Drehbuch dann vermutlich gesetzt?

Genau. Bin ich mit meinem Partner glücklich geworden, hänge ich alten Lieben nach? Und das andere große Thema ist der Lebensentwurf: Wie kommt der oder die Einzelne mit dieser Gesellschaft zurecht, in der er oder sie lebt? Und da ist ja alles möglich, von komplett gescheitert bis – angeblich – total erfolgreich.

Nach welchen Kriterien haben Sie Schauspieler und Charaktere einander zugeordnet?

Wir hatten Ideen für die Grundtypen, die wir haben wollten – vom Spießer bis zur Ex-Schülerin, die inzwischen ein bisschen neben der Spur ist. Dann gibt es diverse Listen mit Namen von Schauspielern, mit denen die an der Produktion Beteiligten schon einmal gedreht haben oder gerne einmal drehen würden. Und anhand dieser Listen haben wir geschaut, wer für welche Rolle am besten passt.

Wie haben Sie die Darsteller auf ihre Rollen vorbereitet?

Es gab zu jeder Figur eine Grundbiografie, und dann habe ich mich mit jedem Schauspieler in ein nettes Café gesetzt und zwei, drei Stunden ’rumfantasiert. Anschließend habe ich zuhause alles aufgeschrieben. Wer kann mit wem in Beziehung treten? Wo kann es knallen? Wer hat welche Geheimnisse? Das Ergebnis bekam jeder zugeschickt, und ich hatte eine große Tabelle mit allen Figuren, auf der ich noch ganz viel hin- und hergeschoben habe, wie bei einem Chemiecocktail. Und am Tag des Drehs wurde dann alles in einen Topf geworfen.

Sie haben den Film an einem Tag gedreht?

Nein, in zwei. (Lacht.) Aber am ersten Tag sind 99 Prozent des Materials entstanden. Dann haben wir noch in der Nacht ein paar Sachen angeschaut und am nächsten Tag Szenen nachgedreht.

Bei einem Klassentreffen laufen viele Gespräche gleichzeitig. Wie erwischt man da den richtigen Moment?

Indem man ganz viele Kameras gleichzeitig im Einsatz hat. Es waren insgesamt 32, davon 24 bemannt, also mit Kameraleuten. Die anderen waren fest installiert.

Das heißt, Sie haben nur die wenigsten Szenen selbst beobachtet?

Richtig, 80 Prozent habe ich erst im Schneideraum gesehen. Ich war natürlich dabei, damit alle das Gefühl haben, dass es doch eine Regie gibt. Aber im Prinzip muss so ein Ding von alleine laufen.

Würden Sie sagen, dass das Improvisationstalent erst die ganze Klasse eines Schauspielers zeigt?

Es wird immer behauptet, dass die besonders gut sind, die gut improvisieren können. Aber jeder Schauspieler kann das bis zu einem gewissen Grad, weil es zu seinem Beruf gehört. Schwierig wird es, wenn die Aufgabe darin besteht, eine Improvisation einen ganzen Film lang durchzuhalten. Aber wer sich das nicht zutraut, winkt sowieso vorher ab.

Das Gespräch führte Rudolf Ogiermann.

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