Eine Dame von Welt

von Redaktion

Die Schauspielerin Nadja Tiller wird am Samstag 90 – Durchbruch mit „Das Mädchen Rosemarie“

VON ZORAN GOJIC

Viel spektakulärer hätte der Durchbruch für Nadja Tiller kaum verlaufen können. Als der Film „Das Mädchen Rosemarie“ im August 1958 auf dem renommierten Festival in Venedig gezeigt werden sollte, intervenierte tatsächlich das Bundesinnenministerium. Es fürchtete um den Ruf der Bundesrepublik, weil es ein eher düsteres Sittenbild des Wirtschaftswunderlandes zeichnete. Vergeblich – die wahre Geschichte um den ungeklärten Mord an der Edelprostituierten Rosemarie Nitribitt sorgte für Furore, bekam Preise und wurde ein Klassiker des deutschen Nachkriegskinos. Und Hauptdarstellerin Tiller, keine 30 Jahre alt, wurde nationales Kulturgut.

Die Grandezza mit der sie, erotisch aufgeladen, die Lebedame darstellte, die etwas abhaben wollte vom neuen Wohlstand, war schon atemberaubend. Sie musste nicht einmal etwas sagen. Alleine die Art, mit der sie im ikonografischen gepunkteten Kleid und riesigem Hut aus einer Luxuskarosse stieg, definierte den Charakter schon. Wie unfassbar gut das gespielt war, fiel dann Jahrzehnte später auf, als die außerordentlich begabte Nina Hoss das im aufwändigen Remake nicht so recht hinbekam.

Die sinnliche Aura, die virtuose Körpersprache und der Hang, im Zweifel lieber eine Spur zurückhaltender zu agieren als andere zu jener Zeit hob Tiller heraus. Das machte ja den Reiz ihrer Darstellung der Rosemarie Nitribitt aus – sie wirkte ja nie wie eine Prostituierte und verstand sich auch nicht so. Sie sah sich als Dame von Welt und trat auch so auf. Diesen Widerspruch, diese Ambivalenz hinzubekommen, ohne aus der Spur zu geraten, das war im Wortsinn großes Kino.

Das Talent Tillers, die am Max-Reinhardt-Seminar in ihrer Geburtsstadt Wien studiert hatte, war erst mal sträflich unterschätzt worden, vielleicht weil sie so atemberaubend gut aussah. Dass sie mal „Miss Austria“ war, hat wahrscheinlich nicht geholfen. Jedenfalls verlor sie deswegen 1949 ihr Engagement am Wiener Theater in der Josefstadt. Sie tingelte durch Lustspiele, bis Regisseur Rolf Thiele im Jahr 1955 ihre Begabung beim Dreh zu „Die Barrings“ entdeckte und aus ihr danach seine „Rosemarie“ machte. Natürlich wird auch anlässlich ihres 90. Geburtstages wieder daran erinnert werden, dass sie in der Folge etwas leichtfertig eine Weltkarriere verspielte. „La dolce vita“ hätte sie machen können mit der legendären Szene im Brunnen, der Anita Ekberg unsterblich machen sollte. Auch den sensationellen Visconti-Klassiker „Rocco und seine Brüder“ ließ sie sich entgehen – aber sie trug es später mit Fassung: „Was wäre schon so viel anders, ich würde jetzt auch hier sitzen.“

Und schlecht gelaufen ist es ja nun wirklich nicht für die Tiller. Jean Gabin wurde ihr Filmpartner, Jean-Paul Belmondo und Yul Brynner, das war auch nicht so übel. Mit allen deutschen Granden stand sie ohnehin vor der Kamera. Es waren nicht immer die ganz großen Filme, und in den späten Sechzigern und frühen Siebzigern wurden es dann auch mal ziemlich maue Streifen, die beispielsweise „Das Geheimnis des gelben Grabes“ hießen oder „Das gewisse Etwas der Frauen“. Internationale Produktionen, sicher, aber zu Recht vom Mantel des gnädigen Vergessens bedeckt.

Nadja Tiller fand in der Folge ihren Platz in recht ansehnlichen Fernsehproduktionen und zunehmend auch auf Theaterbühnen. Weit über 120 Filme sind zusammengekommen, und vor zehn Jahren hatte die Schauspielerin das Glück, sich mit Leander Haußmanns Komödie „Dinosaurier“ angemessen von der großen Leinwand zu verabschieden. Fast genauso bekannt wie für ihre Filme war Tiller für ihre erstaunlich lange Ehe mit Schauspielkollege Walter Giller. Im Jahr 1956 hatten die beiden geheiratet und waren bis zu Gillers Tod 2011 ein Paar. Die Schöne und der Komödiant waren eine unwahrscheinliche Kombination, vielleicht hat es deswegen funktioniert. Und natürlich, weil man sich ein bisschen was hat durchgehen lassen im Laufe der Jahre, wie Tiller schon früh selbst andeutete. Es hätte sie doch sehr gewundert, wenn Giller nicht auch mal Gefallen an einer anderen Frau gefunden hätte. Für sich selbst nahm sie das freilich auch in Anspruch. Sich wegen so etwas trennen? Das fand sie dann doch etwas kleingeistig. Eine besondere Beziehung, im Hamburger Seniorenstift zog man in zwei benachbarte Wohnungen, weil: „Kinder wollen wir ja keine mehr“, wie Walter Giller erklärte.

Nun, in einem Alter, „in dem gute Laune lebensnotwendig ist“, wie Tiller mal gesagt hat, spricht sie sehr gelassen über den Tod und wovor sie sich wirklich fürchtet – Fahrradfahrer.

In der „NDR Talkshow“

mit Barbara Schöneberger und Hubertus Meyer-Burckhardt, die morgen Abend um 22 Uhr beginnt, feiert Nadja Tiller in ihren Geburtstag hinein.

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