Im Zeichen des Mauerbaus

von Redaktion

BESUCH AM SET In Prag entsteht derzeit die dritte Staffel der erfolgreichen ARD-Serie „Charité“

VON KILIAN KIRCHGESSNER

Die Schädelknochen in der Vitrine liegen schon bereit, eine Filmassistentin malt gerade mit Kreide ein Schaubild zu den Blutgruppen auf die riesigen Tafeln im Hörsaal, und von hinten strömen die Schwesternschülerinnen hinein – junge Frauen in weißen Kitteln, auf dem Kopf adrette Hauben. „Die Schwestern setzen sich hinten in die Bänke“, ruft von vorn ein Mann in die angespannte Geschäftigkeit des Raums, „die Ärzte kommen hier nach vorne hin!“

Es sind die Vorbereitungen für eine der letzten Szenen aus der neuen Staffel der ARD-Erfolgsserie „Charité“, der Kameramann steht schon bereit. Der letzte Drehtag nach vier Monaten intensiver Arbeit, heute steht eine Massenszene auf dem Programm. Dutzende Statisten füllen den Hörsaal, vorn am Rednerpult steht Hauptdarsteller Philipp Hochmair, gekleidet in einen pastellgrünen Dreiteiler, und wird gleich auf ein Kommando der Regisseurin Christine Hartmann die Vorlesung beginnen.

In ihrer dritten Staffel rückt die Serie nahe an die Gegenwart heran – nachdem die ersten beiden Staffeln am Ende des 19. Jahrhunderts spielen und während des Zweiten Weltkriegs, geht es diesmal um die Sechzigerjahre, als Berlin im Zeichen des Mauerbaus stand. Im Mittelpunkt der neuen Staffel steht die junge Ärztin Ella (gespielt von Nina Gummich), die auf der Suche nach einem Mittel gegen Krebs ist.

Neben dieser fiktiven Figur tauchen allerlei reale Mediziner aus jener Zeit auf – die Kinderärztin Ingeborg Rapoport, eine glühende Kommunistin, gespielt von Nina Kunzendorf, der Gynäkologe Helmut Kraatz (Uwe Ochsenknecht) und der Gerichtsmediziner Otto Prokop. Er wird von Philipp Hochmair gespielt, der jetzt bei den Dreharbeiten im Hörsaal steht und seinen Studenten gleich etwas vom neuen Vaterschaftstest erzählen wird, den er entwickelt hat. „Die Damen hören jetzt einmal einen Moment nicht zu“, ruft er in den Saal, bevor er einen anzüglichen Witz reißt.

Das ist der Moment, in dem Heyo Kroemer den Kopf schüttelt. Er sitzt bei den Dreharbeiten mit im Hörsaal, sein Platz ganz am Rand wird später nicht im Film zu sehen sein. Kroemer ist Vorstandsvorsitzender der Charité in Berlin, jenes berühmten Krankenhauses, das der Serie den Titel gibt. „So etwas könnte heute kein Professor mehr als zwei Minuten lang durchhalten“, flüstert er mit Blick auf die Machosprüche vorne vor der Kamera und die Sitzordnung, bei der die Frauen wie selbstverständlich nur in den hinteren Bänken Platz nehmen.

Zwei Tage lang schaut Kroemer jetzt bei den Dreharbeiten zu, in den vergangenen Monaten hat er mit seinen Kollegen eng mit dem Filmteam zusammengearbeitet – es soll möglichst realitätsnah sein, was schließlich über die Fernsehschirme flimmert. „Die Serie verbindet große historische Ereignisse mit emotionaler Fiktionalität“, so nennt es der ARD-Programmdirektor Volker Herres. Es geht also um reale Ärzte und die medizinischen Neuerungen ihrer Zeit ebenso wie um die zeitgeschichtlichen Hintergründe. So wird der Gerichtsmediziner Otto Prokop in der Serie den ersten Mauertoten untersuchen – und steht genauso wie seine Kollegen vor der Frage, ob er in der DDR bleibt oder nach Westberlin flüchtet – die Charité stand genau auf der Grenze mitten durch Berlin.

Eins hat sich auch bei der dritten Staffel der Serie nicht geändert: Gedreht wird sie wieder in Prag. Hier finden die Filmleute alles an Kulissen, was sie brauchen – in der ersten Staffel ein halbverfallenes historisches Krankenhaus (das inzwischen renoviert wird), jetzt. in der dritten Staffel sind sie im Gelände der Technischen Universität unterwegs. Die altehrwürdigen holzvertäfelten Hörsäle, die repräsentativen Treppenhäuser – alles das wirkt wie eine Zeitmaschine zurück in die Uni- und Krankenhausatmosphäre der Sechzigerjahre.

Zwei Fragen, sagt Regisseurin Christine Hartmann, stünden bei der aktuellen Staffel im Vordergrund: Um die Stellung der Frau in der Gesellschaft gehe es, wo die DDR in mancherlei Hinsicht fortschrittlicher gewesen sei als der alte Westen, und natürlich um die deutsch-deutsche Geschichte. „Mit den Konflikten, der Zerrissenheit in Zusammenhang mit dem zweiten deutschen Staat haben wir uns bislang noch zu wenig auseinandergesetzt“, urteilt ARD-Programmdirektor Volker Herres. Die neue Staffel von „Charité“ soll mithelfen, das zu ändern.

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