Zwischen allen Fronten

von Redaktion

INTERVIEW Regisseur Florian Gallenberger über seinen ARD-Zweiteiler „Der Überläufer“ nach Siegfried Lenz

Von einem Wehrmachtssoldaten, der desertiert und sich der Roten Armee anschließt, handelt Siegfried Lenz’ 2016 postum veröffentlichter Roman „Der Überläufer“, der schon in den Jahren 1951/52 entstand. Der Münchner Regisseur und Oscar-Preisträger Florian Gallenberger schuf aus dem Stoff einen Zweiteiler, den das Erste heute und am Karfreitag jeweils um 20.15 Uhr zeigt. Die Titelrolle spielt Jannis Niewöhner, weiter sind unter anderen Malgorzata Mikolajczak, Sebastian Urzendowsky, Rainer Bock und Katharina Schüttler zu sehen.

Herr Gallenberger, der Film spielt in mehreren Epochen, im Zweiten Weltkrieg, nach 1945 in der damaligen Sowjetischen Besatzungszone und in der Bundesrepublik – welcher dieser Zeiträume war für Sie der spannendste?

Am spannendsten, am interessantesten war für mich der Teil des Films, der in der Sowjetischen Besatzungszone spielt, weil das eine Zeit ist, die filmisch noch nicht so oft erzählt wurde. Da bauen die Menschen voller Optimismus einen neuen Staat auf, merken aber – wie die Hauptfigur Walter Proska – sehr schnell, dass da wieder ein System etabliert wird, das sie nicht hinterfragen dürfen.

Wieso haben Sie sich bei der Besetzung der Hauptrollen für Jannis Niewöhner und Malgorzata Mikolajczak entschieden?

Die Entscheidung für Jannis war schon gefallen, bevor ich zum Projekt dazukam. Dass er die Titelrolle spielt, war für mich einer der Gründe zu sagen: Diesen Film möchte ich gerne machen. Ich halte Jannis für eine absolute Ausnahmeerscheinung, sowohl als Schauspieler als auch als Mensch. Umso schwieriger war es, die Richtige für die weibliche Hauptrolle zu finden. Dazu haben wir ein großes Casting in Polen gemacht und sind dabei auf Malgorzata gestoßen. Die beiden sind ein wunderschönes Paar, sie agieren auf Augenhöhe.

Es bleibt bei einem solchen Stoff vermutlich nicht aus, dass die Schauspieler auch über die eigene Familiengeschichte sprechen.War das Thema zwischen den beiden?

Ich war als Regisseur nicht bei allen Gesprächen dabei, weiß nur, dass sich die beiden hervorragend verstanden haben. Vermutlich haben sie sich auch über die eigenen Biografien unterhalten. Aber die Konfrontation mit der Vergangenheit betraf ja nicht nur die Schauspieler.

Sondern das gesamte Team?

Genau. Ich musste beim Lesen des Romans an meinen Großvater denken, der, wie man so schön sagt, im Krieg „gefallen“ ist. In Wirklichkeit ist er, soweit ich das weiß, in einem Sumpf in der Ukraine an der Ruhr elendiglich zugrunde gegangen. Mein Großvater hätte einer dieser fünf, sechs versprengten Soldaten sein können, von denen der Film erzählt. Das Filmteam war zum größten Teil polnisch, der Großvater des Regieassistenten hat als Partisan gekämpft. Natürlich haben wir viele solcher Geschichten ausgetauscht. Das war für mich der stärkste Eindruck bei der Beschäftigung mit diesem Projekt: Dass auch heute noch, 75 Jahre danach, alle unsere Biografien irgendwie von diesem Krieg geprägt sind.

Das Gespräch führte Rudolf Ogiermann.

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