Die Geschichten hinter den Toten

von Redaktion

„New York Times“ gedenkt der Corona-Opfer

Diese Titelseite polarisiert. Die „New York Times“ hat sie am Sonntag den amerikanischen Opfern der Coronavirus-Pandemie gewidmet: In sechs Spalten hat die Zeitung ganzseitig die Namen von Hunderten Verstorbenen abgedruckt. In der Ausgabe stehen insgesamt 1000 Namen aus veröffentlichten Nachrufen und jeweils ein persönlicher Satz zu den Opfern. „Die 1000 Menschen hier stellen nur ein Prozent der Opfer dar. Keiner von ihnen war nur eine Statistik“, schrieb das Blatt auf der über Twitter veröffentlichten Titelseite.

In dem Sozialen Netzwerk begann sogleich die Diskussion darüber, ob eine solche Auflistung statthaft sei. „Ich mag diese Art von Journalismus nicht“, schreibt ein Nutzer. „Da sollen Gefühle berührt und Ängste geschürt werden – das ist gefährlich und manipulativ. Ich habe niemals die Namen von Krebs-, Autounfall- oder Herzinfarkt-Opfern auf diese Weise präsentiert bekommen“, merkt der Kommentator an. Und warnt: „Benutzt nicht die Namen der Toten, um eure Botschaften zu transportieren.“ Tatsächlich kann man diese außergewöhnliche Aktion als eine Kritik an der Führung des Landes werten. Die Überschrift lautet: „Fast 100 000 Tote in den USA, ein unermesslicher Verlust“. Ein Wink an US-Präsident Donald Trump, der die Folgen des Virus in seinem Land herunterspielt und die Schuld für die Ausbreitung anderen in die Schuhe geschoben hat?

Nach Daten der Universität Johns Hopkins sind in den USA bis Samstagabend (Ortszeit) gut 1,6 Millionen bekannte Infektionen mit dem Coronavirus und rund 97 000 Todesfälle gemeldet worden. „Die Person, die dafür verantwortlich ist, ist Trump. Niemand sonst kontrolliert die amerikanischen Grenzen und entscheidet darüber, wie in der Krise gehandelt wird“, merkt ein anderer Twitter-Nutzer an. Und wieder einer versucht, witzig zu sein: „Ihr hättet am Ende der Seite erwähnen sollen: ,China sei Dank‘.“

Ob politisch motiviert, oder eine Geste des Mitgefühls für die Angehörigen der Corona-Opfer – die Zeitung betont: „Zahlen alleine können nicht die Auswirkungen des Coronavirus auf Amerika messen, sei es die Zahl der behandelten Patienten, unterbrochenen Jobs oder zu früh beendeten Leben.“ Deshalb werden einige kleine Eindrücke über die Verstorbenen aufgeführt. Über den 62 Jahre alten Dante Dennis Flagello aus Rome im Bundesstaat Georgia etwa, dessen „größte Errungenschaft die Beziehung mit seiner Frau war“. Oder Thomas E. Anglin (85) aus Cumming in Georgia – „er schuf viele wunderbare Erinnerungen für seine Familie“. Auch an den 64-jährigen Joseph W. Hammond aus Chicago im Bundesstaat Illinois erinnert die Zeitung: „Er gab seinen Beruf auf, um sich um seine Eltern zu kümmern.“

Geschichten, die berühren. Egal, auf welcher politischen Seite man als Leser steht. Wie ein Twitter-Nutzer schreibt: „100 000 Tote sollten nicht politisch instrumentalisiert werden. Alle politischen Lager sollten sich vor Augen führen, welch großer Verlust das für unsere Nation ist.“ JÜRGEN BÄTZ UND KATJA KRAFT

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