Deutschland macht sich locker – jedenfalls fast überall. Die durch Corona bedingten Einschränkungen werden schrittweise aufgehoben, und auch das Fernsehen findet nach dem Lockdown allmählich aus der Schockstarre. Doch auch wenn die Produktion von Fernsehfilmen und anderen Formaten wieder anläuft, kann von Normalität nicht die Rede sein. Ob „Tatort“, Dschungelshow, Seifenoper oder Liebesfilm, in jedem einzelnen Fall muss geprüft werden, was erlaubt und was möglich ist – oder eben nicht.
Noch steht zum Beispiel in den Sternen, wann Unterhaltungsshows wieder vor Zuschauern stattfinden dürfen. Das ZDF hat deshalb bekanntlich Thomas Gottschalks für November geplante „Wetten, dass…?“-Neuauflage auf 2021 verschoben. Auch Carmen Nebels Abschied ist wie berichtet erst für kommendes Frühjahr terminiert, „dann möglichst mit der entsprechenden Atmosphäre vor einem großen Saalpublikum“, wie es vom Mainzer Sender heißt. Einstweilen behilft man sich – wie beispielsweise aktuell in der „Carolin Kebekus Show“ im Ersten – mit Applaus und sonstigen Zuschauerreaktionen vom Band.
Bei anderen Shows ändern die Sender das Konzept – die Reihe „Kitchen Impossible“ etwa, in der Fernsehkoch Tim Mälzer sonst die halbe Welt bereist, dreht Vox jetzt in Deutschland, und die RTL-Realityshow „Sommerhaus der Stars“ wird in Bocholt aufgezeichnet, nicht wie sonst in Portugal. Dagegen hofft der Privatsender, dass die nächste Staffel der Dschungelshow, „Ich bin ein Star, holt mich hier raus!“, im Januar wie gewohnt in Australien über die Bühne gehen kann. „Wir bleiben optimistisch“, sagt eine RTL-Sprecherin.
Die Produktion von Fernsehfilmen und Serien nimmt zurzeit wieder Fahrt auf. Die im Frühjahr abrupt abgebrochenen „Tatort“-Drehs in Dresden und Ludwigshafen etwa gehen weiter, im ZDF steht Anna Loos für die Weihnachtskomödie „Alle Nadeln an der Tanne“ vor der Kamera, beim ZDF dreht Hans Sigl neue Folgen des „Bergdoktor“. Doch die vielen ausgefallenen Drehtage lassen sich nicht einfach aufholen, und ARD-Programmdirektor Volker Herres erwartet deshalb für 2021 bei allen Sendern eine „zeitverzögerte Erstausstrahlungslücke“. Allein bei der ARD-Tochterfirma „Degeto“ waren 30 Filme vom coronabedingten Drehverbot betroffen.
Bis auf Weiteres gelten für alle Produktionen strenge Abstands- und Hygienevorschriften. Die zuständige Berufsgenossenschaft hat einen dicken Regelkatalog für Dreharbeiten in Zeiten von Corona vorgelegt, der vom eingeschweißten Besteck beim Catering bis zur Quarantäne vor Drehbeginn diverse Maßnahmen nennt. Darin wird auch zu einer „Anpassung des Drehbuchs“ geraten, „zur Vermeidung von körpernahen Szenen wie Umarmungen“.
Und so werden gerade überall im großen Stil hektisch Drehbücher umgeschrieben – und mehr als das. So kann laut Norddeutschem Rundfunk (NDR) das ursprünglich für den nächsten Fall von Maria Furtwängler und Florence Kasumba in Göttingen geplante Drehbuch wegen der Auflagen gar nicht umgesetzt werden. „Hier sind sehr viele Ensembleszenen und Szenen mit direktem Kontakt notwendig. Daher starten die Dreharbeiten – voraussichtlich im August – mit einer komplett neu geschriebenen Vorlage“, heißt es vom Sender. Das ursprüngliche Drehbuch solle weiterentwickelt und später verfilmt werden. Maskenpflicht herrscht auch am Set des neuen Münsteraner „Tatort“, zumindest zwischen den Szenen. „Es ist für mich eine große Freude, dass es endlich wieder losgeht“, sagt ein euphorischer Axel Prahl. Allerdings: „Es gibt natürlich vieles, das man berücksichtigen muss. Das Drehen ist anders.“
Kussszenen wird es zwischen dem Kommissar und dem von Jan Josef Liefers gespielten Gerichtsmediziner vermutlich nicht geben, wenn sie in anderen Produktionen doch nicht zu vermeiden sind, kommt es auch schon einmal zu kuriosen Situationen. So sieht das Drehbuch der ARD-Serie „Tierärztin Dr. Mertens“ mit Sven Martinek und Elisabeth Lanz einen Kuss zwischen den Protagonisten vor. Damit das der Corona-Etikette entspricht, wird Lanz bei diesem Schmatzer von Sven Martineks Freundin gedoubelt.
Der Zuschauer soll am Ende nichts davon sehen, dass Filme und Serien unter Corona-Bedingungen gedreht wurden. Die Pandemie soll kein Thema sein. ARD-Sprecher Bernhard Möllmann glaubt nicht, dass zum Beispiel Christian Tramitz als oberbayerischer Ordnungshüter in „Hubert ohne Staller“ seine Zeugen mit Mundschutz befragen wird: „Die Folgen sind ja erst Monate später im Programm zu sehen. Und dann, so hoffen wir, ist die Pandemie leidlich überstanden.“ In der Welt der Fernsehserien soll wenigstens diese Krise draußen bleiben.