Bilder gegen das Vergessen

von Redaktion

Das Erste zeigt Feras Fayyads Doku „The Cave“ über eine Klinik im syrischen Bürgerkrieg

VON ASTRID KISTNER

Manchmal möchte man lieber wegschauen. Nicht sehen, welch unermessliches Leid der Bürgerkrieg in Syrien angerichtet hat. Die Bilder, die Regisseur Feras Fayyad in seiner tief berührenden Dokumentation „The Cave – Eine Klinik im Untergrund“ zeigt, dokumentieren blinde Zerstörung und den unermüdlichen Kampf derer, die Leben retten wollen, wo Bomben auf Zivilisten fallen. Heute Abend um 22.45 Uhr strahlt die ARD den für einen Oscar nominierten Film aus, der Ärzte und Krankenschwestern in der syrischen Region Ghuta nahe Damaskus porträtiert. In einem unterirdischen Höhlensystem halten sie die medizinische Versorgung aufrecht und kämpfen für ein bisschen Menschlichkeit.

Zwischen 2017 und 2018 ist Fayyads Film unter lebensbedrohlichen Umständen entstanden. Die Gefahr ist in jeder Minute der Doku spürbar. Während syrische und russische Kampfflieger Bomben über der Stadt abwerfen, erzittern die unterirdischen Mauern. Längst ist das Krankenhaus oberhalb der Erdoberfläche in Schutt und Asche gelegt. Kranke schleppen sich zum Höhleneingang, Eltern tragen ihre traumatisierten Kinder, Helfer die Schwerverletzten in die Katakomben der Klinik. Es mangelt an allem – an Medizin, Lebensmitteln, technischen Geräten. Operiert wird nur mit Schmerzmitteln ohne Narkose dafür mit klassischer Musik aus dem Smartphone, mit der Dr. Salim Namour die Patienten und sich selbst beruhigt.

Die Kamera aber folgt vor allem Dr. Amani Ballour, Kinderärztin und Klinikchefin, die das Chaos mit knapp 30 Jahren beeindruckend bewältigt. Sie ist die erste Frau in Syrien, die ein Krankenhaus leitet – gegen die Widerstände der Gesellschaft, in der sie lebt, und das Drängen ihrer Familie, die sie lieber in Sicherheit wüsste. „Dr. Amani ist eine außergewöhnliche Persönlichkeit“, sagt Filmemacher Feras Fayyad. „Und trotzdem musste ich meinen syrischen Kameramann immer wieder ermahnen, ihr zu folgen und nicht dem männlichen Arzt im Film.“

Die gesamte Belegschaft hat Dr. Amani demokratisch auf diese Position gewählt. In einem Mikrokosmos, der von einem nicht endenden Strom verwundeter Körper überschwemmt wird, gelten andere Gesetze als über der Erde. Ein Inferno bricht aus, als die Stadt mit Giftgas attackiert wird. „Möge Allah dich verdammen, Baschar“, verwünscht Dr. Amani das skrupellose Assad-Regime. Im Akkord behandelt sie erstickende Kinder, wäscht Gesichter und verbrennt mit Chlorgas getränkte Kleidung vor dem Krankenhaus.

Nur selten bleibt der jungen Ärztin der Rückzug in ein kleines Zimmer, um angesichts des nicht enden wollenden Elends zu weinen. Schlimm – das wird schnell klar – sind nicht die Situationen, in denen offene Wunden verarztet und Blutungen gestoppt werden müssen. Schwer sind die, in denen die Ärzte erkennen, dass sie nicht mehr helfen können. Feras Fayyad hat viel riskiert, um den Fokus auf die stillen Helden unter der Erde zu richten. Sein Film zwingt zum Hinschauen, wo man lieber verdrängen möchte. Er zeigt wichtige Bilder gegen das Vergessen.

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