Sie wollten tanzen, Spaß haben, einen halben Tag und eine ganze Nacht lang – so wie immer bei der Loveparade. Am Ende waren 21 Menschen tot, mehr als 600 wurden verletzt, viele von ihnen sind bis heute traumatisiert. Sie alle wurden Opfer einer Massenpanik, eines tödlichen Gedränges auf dem Gelände des ehemaligen Duisburger Güterbahnhofs, das für eine Veranstaltung mit so vielen feiernden Menschen nicht geeignet war. Vor zehn Jahren war das, am 24. Juli 2010.
„Loveparade – Die Verhandlung“, zu sehen heute um 22.45 Uhr, ist nicht der erste Film zum Thema. Auch nicht die erste Doku. Im WDR-Fernsehen lief bereits „Loveparade – Eine Katastrophe vor Gericht“. Produziert und inszeniert haben den Film dieselben, die nun abermals das Geschehen beleuchten, mit den Methoden der Dokumentation, aber in Spielfilmlänge – Antje Boehmert und Dominik Wessely (siehe auch Kasten).
Ihre hoch spannende Arbeit kreist primär um das Gerichtsverfahren. Es begann am 8. Dezember 2017 vor dem Landgericht Duisburg und endete am 4. Mai 2020. Ohne Urteil. Für viele Angehörige der Verstorbenen ein desaströser Ausgang. Einige von ihnen kommen in der Doku zu Wort. Etwa ein Ehepaar aus dem spanischen Tarragona, das bei der Katastrophe seine Tochter verloren hatte. Die Kamera begleitet sie mehrmals an den Unglücksort. Dort ist nun ein Denkmal angebracht. Während sie davor stehen, im Schnee, erklingt verhalten-sphärische, eigens für die Doku entwickelte Musik des Spaniers Jesús Díaz. Der Moment zählt zu den härtesten des ganzen Films. Ebenso die Handyaufnahmen eines Nebenklägers. Er hat die Massenpanik miterlebt und dokumentiert.
Bei der Abbildung des Prozesses und der diesem zugrunde liegenden Geschehnisse arbeitet Dominik Wessely oft mit Räumen. Er kontrastiert leere Säle mit vollen, verlassene Orte mit Menschenansammlungen. Das tödliche Gedränge 2010 – die traurigen Orte heute. Diese Bildsprache ist teilweise auch aus der Not geboren. Denn vor Gericht zu filmen ist in Deutschland nicht möglich. Der Zuschauer sieht immer nur die Begrüßung durch den Richter. Dessen „So, guten Morgen, bitte nehmen Sie Platz“ wird irgendwann zu einem unfreiwillig komischen Mantra. Nach diesem Satz musste die Kamera stets ausblenden. Zeugenaussagen werden für die Doku nun nachgesprochen. Die Staatsanwaltschaft, die Nebenklagevertreter, der Richter, sie alle haben dem Filmteam separate Interviews gegeben. Ebenso ein Gutachter und ein Vertreter der Polizei. Ihre Aussagen tasten sich schließlich an die Frage heran, wie es in Duisburg zu der für viele tödlichen Enge kommen konnte. Illustriert durch Archivaufnahmen, Skizzen und Videoschnipsel, ergibt sich aus den Analysen schließlich ein Bild der Katastrophe auf einem Gelände, das für so große Menschenströme nicht gebaut war, „Ich hab’s nicht gesehen, ich konnte es nicht sehen“, fasst der Polizist seine Empfindungen nach dem Unglück zusammen, „aber es war so dieses Innerliche: Du hast zugeguckt, wie Menschen gestorben sind.“ KATRIN HILDEBRAND