Linda Zervakis präsentiert regelmäßig die 20-Uhr-Ausgabe der „Tagesschau“ – als erste Sprecherin mit Migrationshintergrund machte sie 2013 Schlagzeilen. Jetzt erzählt die Fernsehfrau in einem Buch „Etsikietsi – Auf der Suche nach meinen Wurzeln“ über die bewegte Vergangenheit ihrer Familie und ihren Job bei der „Tagesschau“.
Die meisten Menschen kennen Sie als „Tagesschau“-Sprecherin, jetzt haben Sie ein Buch mit dem Titel „Etsikietsi“ geschrieben. Was bedeutet das?
Wenn man in Griechenland gefragt wird, wie es einem geht, antwortet man: „Etsikietsi“, das heißt: so lala, irgendwie dazwischen. Das beschreibt, wie ich mich fühle. Zwischen den Stühlen, zwischen den Welten.
Ihre Eltern stammen aus Griechenland, in dem Buch schreiben Sie über die Suche nach Ihren griechischen Wurzeln – dafür sind Sie mit Ihrer Mutter in die alte Heimat gereist. Was haben Sie gefunden?
Ich habe herausgefunden, dass ich mich zum Glück nicht entscheiden muss, ob ich mehr Deutsche oder mehr Griechin bin – auch wenn manche Leute das vielleicht von mir erwarten. Es ist beides in mir, so wie ich ja auch beide Pässe habe, und ich genieße das. Ich bin froh, dass ich meine griechischen Wurzeln in mir habe, und sehe das als Bereicherung.
Was ist typisch deutsch, was griechisch an Ihnen?
Deutsch ist an mir eine gewisse Verbindlichkeit. Wenn man sich für 15 Uhr mit mir verabredet, bin ich in der Regel pünktlich – das muss auch so sein, weil in Deutschland alles so eng getaktet ist. In Griechenland kann es sein, dass man sich für drei verabredet, aber erst um vier trifft, weil dort das Leben gemächlicher abläuft. Griechisch an mir ist die Lautstärke. Ich lache sehr laut und halte dabei oft in der einen Hand die Gabel und nutze die andere zum Gestikulieren. In höherpreisigen Restaurants fällt das in Deutschland auch mal unangenehm auf. (Lacht.)
Seit einigen Wochen tauschen Sie sich in Ihrem Podcast „Gute Deutsche“ mit anderen Prominenten mit Migrationshintergrund aus. Wie ist Ihre vorläufige Bilanz?
Mir ist aufgefallen, dass es vielen dieser Menschen in ihrer Kindheit und Jugend ähnlich ging wie mir: Sie haben sich besonders angestrengt, um besser zu sein als alle anderen, um nicht negativ aufzufallen. Meine Eltern haben auch immer zu mir gesagt: Sei gut in der Schule, lerne fleißig, damit du es mal besser hast, als wir es hatten.
Ist Ihre Mutter stolz auf ihre erfolgreiche Tochter?
Ja, ich glaube schon. Vielleicht ist es wie eine Art Genugtuung für sie, dass ihre Tochter vor einem Millionenpublikum die Nachrichten vorliest, und dass ihre Entbehrungen nicht umsonst waren. Meine Eltern hatten es schwer. Sie sind als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen und waren hier immer die Ausländer. Es gab damals keine Deutschkurse und keine Integrationskurse für sie, das mussten sie alles selber machen. Aber obwohl in Deutschland oft von mangelnder Chancengleichheit die Rede ist, hatte ich doch die Möglichkeit, aufzusteigen – das ist ein Privileg, eine immense Freiheit.
Sie schreiben, dass Sie die „Tagesschau“ als Gottesdienst empfinden. Wie ist das gemeint?
Die „Tagesschau“ um 20 Uhr war schon bei mir zuhause ein Ritual, selbst für meine griechischen Eltern, die nicht alles verstanden haben. Das hatte etwas Heiliges. Wir saßen alle mucksmäuschenstill vorm Fernseher. Die Sendung gibt es schon so lange, sie hat sich aber nicht auf ihren Lorbeeren ausgeruht, sondern ist mit der Zeit gegangen, mit Ausweitungen wie etwa der „Tagesschau“-App. Das finde ich gut.
Sie haben 2018 und 2019 den ESC-Vorentscheid moderiert. Warum sieht man Sie seitdem kaum als Showmoderatorin?
Das liegt nicht an mir. Denken Sie nur an das, was Volker Herres neulich sagte.
Der ARD-Programmdirektor meinte, ihm falle kein weibliches Pendant zu Showmastern wie Kai Pflaume ein…
Es ist doch erschreckend, dass es im deutschen Fernsehen nur ganz wenige Frauen gibt, die an die großen Shows rangelassen werden. Man hat über Jahrzehnte immer nur Männer solche Sendungen moderieren lassen – wie soll eine Frau das jetzt auf Anhieb können, wenn man sie nicht herangeführt hat? Außerdem ist das Sehverhalten vieler deutscher Zuschauer dadurch auch so konditioniert, dass sie glauben, dass das nur Männer können. Im Jahr 2020 ist das schon ein bisschen traurig.
Würden Sie sich eine große Samstagabendshow zutrauen?
Ich weiß gar nicht, ob die große Showtreppe überhaupt meins ist. Aber wenn frau gar keine Chance bekommt, wird frau es auch nicht herausfinden.
Das Gespräch führte Cornelia Wystrichowski.