In dieser Serie kommen keine klassischen Monarchen vor, die ihre Kinder verheiraten, um ihre Macht zu mehren. Und doch findet sich im gestern gestarteten ARD-Sechsteiler „Oktoberfest 1900“ (wir berichteten) eine junge Frau, die genau dieses Schicksal zu erleiden droht. Clara Prank soll den Münchner Großbrauer Anatol Stifter (Maximilian Brückner) ehelichen, damit ihr Vater Curt (Mišel Matičevic), ein Zuagroaster aus Nürnberg, seinen Traum von der Bierburg auf der Münchner Wiesn verwirklichen kann. Mercedes Müller spielt diese junge Frau, die so anders zu sein scheint als das übrige Personal in dieser Produktion – scheu, zerbrechlich, irgendwie entwurzelt. Doch Clara will und wird sich am Ende nicht dem Vater beugen.
„Das Schöne ist, dass sie eine Wahnsinnsentwicklung macht von einem naiven Mädchen, das in einem goldenen Käfig lebt, da aber ausbricht, erwachsen wird und am Ende mutige Entscheidungen trifft“, beschreibt Müller im Gespräch mit unserer Zeitung ihre Figur. Ein Mädchen, das erwachsen wird und am Ende mutige Entscheidungen trifft – diese Beschreibung passt ein bisschen auch auf die Schauspielerin selbst. Denn auch Müller, in Berlin geborene Tochter einer polnischen Mutter und eines deutschen Vaters, die schon als Kind vor der Kamera stand, hat selbst eine Wahnsinnsentwicklung hinter sich.
Einem größeren erwachsenen Publikum bekannt wurde sie vor sieben Jahren in der Rolle einer minderjährigen osteuropäischen Prostituierten in Til Schweigers viel beachtetem „Tatort“-Debüt „Willkommen in Hamburg“. „Das war lustig“, erinnert sie sich, „danach wurde ich eine Weile bei Castings immer gefragt, ob ich Deutsch spreche – mein gespielter Akzent war also wohl gar nicht so schlecht.“ Dann ging es Schlag auf Schlag – die 23-Jährige spielte außer in diversen Krimifolgen unter anderem in Fatih Akins Kinofilm „Tschick“ und im ZDF-Dreiteiler „Tannbach“.
Das Ergebnis einer mutigen Entscheidung war schließlich auch ihre Rolle in „Oktoberfest 1900“. Als die Castings liefen, drehte sie gerade in Irland, mit Désirée Nosbusch. „Ich hatte wenig Zeit, hätte an einem Tag nach Berlin und wieder zurück fliegen müssen.“ Sie tat es – und bekam die Rolle.
Und mit ihr eine Reise in die Zeit der vorvergangenen Jahrhundertwende, als vor allem Frauen noch ganz und gar fremdbestimmt waren. „Es ist schon ein tolle Erfahrung, auf diese Weise einen Einblick zu bekommen in eine andere Epoche“, sagt Müller, die sich zur Vorbereitung unter anderem in das Werk der Schriftstellerin Franziska zu Reventlow einlas. Auch das Kostüm sei in solchen historischen Filmen wichtig: „Es hilft mir unglaublich, die Mercedes abzulegen und in die Rolle hineinzuschlüpfen. Man hat in solchen Roben ein ganz anderes Körpergefühl.“
Dass in „Oktoberfest 1900“ Macht – von wem auch immer – nicht nur implizit ausgeübt wird sondern es auch zahllose explizite Gewaltszenen gibt, ist für die Schauspielerin in Ordnung: „Niemand ist hier nur gut oder nur böse, und wie jemand in einer bestimmten Situation reagiert, ist aus der Geschichte heraus nachvollziehbar.“
Und wie geht es weiter, nach diesem Sechsteiler, der Müller noch bekannter machen dürfte? „Ich freue mich auf das, was noch kommt“, sagt die Berlinerin, die ihre für Anfang 20 schon beeindruckend lange Filmografie damit begründet, dass sie ihren Beruf „unheimlich gerne“ ausübt. Allerdings werde sie künftig noch mehr nach „spezielleren Rollen“ Ausschau halten: „Es ist alles spannend, was man nicht aus sich selbst heraus spielen kann, alles, was einem persönlich nicht so nah ist.“
An einem bestimmten Genre würde sie sich zu gerne einmal versuchen: „Ich hätte schon Lust auf Actionfilme, in denen ich auch die Stunts selbst mache. Das fände ich cool.“ Ob’s da schon konkrete Projekte gibt, will Mercedes Müller nicht verraten. Was dagegen fest steht, ist ein Besuch auf der Wiesn, sofern die im nächsten Jahr stattfindet: „Ich hatte mich wahnsinnig darauf gefreut, dieses Jahr das erste Mal hinzugehen, was ja nun leider nicht klappt. Aber das hole ich nach – und dann schaue ich mir das alles mal aus der Nähe an.“ RUDOLF OGIERMANN