Wachsende Bedrohung

von Redaktion

Rainer Fromms und Christian Freys Dokumentation „Extremismus in Deutschland“ im ZDF

Wutbürger, deren Parolen sich aggressiv gegen Politiker und Medien richten, Menschen, die davon überzeugt sind, in einer „Diktatur“ zu leben, die sie bekämpfen müssen, und dazwischen, wie am Wochenende in Leipzig, immer wieder pure Gewaltexzesse – es gärt auf Deutschlands Straßen. Dabei wird das Recht auf freie Meinungsäußerung nicht selten von denen missbraucht, die unsere Demokratie abschaffen wollen. Rainer Fromm und Christian Frey beleuchten in ihrer brisanten Dokumentation „Extremismus in Deutschland“, die das ZDF heute um 22.15 Uhr zeigt, die wachsende Bedrohung von rechts und von links.

Längst haben die politischen Ränder die Mitte in die Zange genommen, haben die Parolen, die auf Demonstrationen skandiert werden, ihren Weg auch in die Parlamente gefunden. „Wir beobachten seit ein paar Jahren eine verrohte, mit Hass durchsetzte politische Sprache, die nur noch den Feind zu definieren vermag“, sagt der Historiker Andreas Wirsching in Film. In Gesprächen mit Experten vom Verfassungsschutz und Kriminologen erklären die Filmemacher, wie gefährlich öffentliche Hetze und die Radikalisierung im Internet für unsere Gesellschaft sind.

Insgesamt ist die Zahl politisch rechts motivierter Delikte von rund 20 450 im Jahr 2018 auf 22 350 im Jahr 2019 geklettert. Deutschland erlebt wieder einen rechtsextremen Terror, der von der immer noch nicht restlos aufgeklärten Mordserie des NSU über die Ermordung von Walter Lübcke bis hin zum Angriff auf die Synagoge in Halle reicht. Erschreckend ist dabei das Konzept des sogenannten „führerlosen Widerstands“, bei dem es nicht notwendig sei, Hierarchien aufzubauen, so Martin Rettenberger, Direktor des Kriminologischen Instituts in Wiesbaden. Über das Internet gebe es schier endlose Möglichkeiten, Anhänger zu finden oder Ausführende für Straftaten zu rekrutieren. Ideologischen Brandstiftern gehe es darum, schnell und effektiv für eine möglichst breite Streuung der Kriminalität zu sorgen.

Dabei ist diese beunruhigende Entwicklung kein neues Phänomen. Schon in der Weimarer Republik gingen sowohl vom rechten als auch vom linken Rand Gefahren für die Demokratie aus. Die Dokumentation skizziert die Geschichte des Terrorismus seit 1945, erinnert an den Terror der RAF, die Gewaltexzesse beim G20-Gipfel in Hamburg oder aktuell im Leipziger Stadtteil Connewitz, die deutlich zeigen, dass auch linke Gewalttäter den Tod von Menschen billigend in Kauf nehmen. Trotzdem sind sie im Vergleich zur rechten Szene, die sich in zahlreichen Vereinen und Bündnissen zusammenschließt, in der Minderheit. Im Jahr 2019 zählte der Verfassungsschutz insgesamt 6449 Delikte (2018: 4622), die der linksextremen Szene zugerechnet werden.

Was aber bedeutet das für unsere Gesellschaft? Für all jene Menschen, die sich ein weltoffenes, solidarisches Zusammenleben wünschen und auf die freiheitlich demokratische Grundordnung vertrauen? „Es bedeutet zweifellos, dass unsere Demokratie mehr denn je geschützt werden muss“, mahnt Armin Pfahl-Traughber, Autor und Experte für Rechtsextremismus. Dabei lohne sich ein kritischer Blick auf die eigene Haltung. „Denn Extremisten sind immer nur dann stark, wenn Demokraten schwach sind.“ ASTRID KISTNER

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