Sie ist ein Solitär unter den vielen Ermittlerinnen im deutschen Fernsehen – „Kommissarin Heller“, gespielt von Lisa Wagner. Im Beruf stets mit dem Kopf durch die Wand, privat mit spitzen Stacheln, die vor Verletzungen schützen sollen. In der Episode „Panik“ nimmt die in München lebende Schauspielerin nun Abschied von der beliebten Krimireihe, die in der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden spielt. Es geht um sogenannte Loverboys, die junge Mädchen emotional abhängig machen und an zahlungskräftige Freier vermitteln.
Sie hören nach nur zehn Folgen mit Winnie Heller auf – trotz guter Quoten und guter Kritiken.
Das Problem bei dieser Figur ist, dass sie nur funktioniert, wenn sie extrem ist. Es wird ja viel über Winnie Heller privat erzählt, über ihre soziale Inkompetenz. Dieses Extreme birgt aber die Gefahr in sich, dass man sich schneller an ihr satt sieht. Und diesem Gefühl beim Publikum wollte ich zuvorkommen. Ich wollte nicht, dass die Leute Winnie Heller sehen und sagen: „Mensch Mädchen, jetzt mach doch mal endlich eine gescheite Therapie!“
Das Thema „Loverboys“ – ein Herzensanliegen?
Auf jeden Fall. Weil ich finde, dass das eines der perfidesten Verbrechen überhaupt ist. Die Unerfahrenheit junger Mädchen auszunutzen und sie derart auszubeuten! Ich habe mir Dokumentationen dazu angeschaut, in denen es heißt, dass es tatsächlich Mädchen gibt, die rausgeholt werden aus diesem Milieu und freiwillig wieder zurückgehen, weil sie so abhängig sind von diesen Typen. Das kann man gar nicht fassen.
Haben Sie den Eindruck, dass zu wenig getan wird, diesen Sumpf auszutrocknen? Im Film klingt ja an, dass man an die reichen, oft auch einflussreichen Freier nicht herankommt.
Da haben wir uns ein bisschen am Fall Jeffrey Epstein in den USA orientiert. Der hat sich ja wohl bewusst Mädchen gesucht, von denen er wusste, dass die Eltern nicht das Geld für einen guten Anwalt haben. Dass so etwas über 20, 30 Jahre funktionieren kann, weil jemand beste Verbindungen nach ganz oben hat, finde ich empörend. Aber auch den Loverboys bei uns ist kaum beizukommen. Die wenigsten Mädchen sagen gegen sie aus, entweder aus Scham, aus Angst oder aus Liebe. Die tragen Traumata davon, mit denen sie ihr ganzes Leben zu tun haben.
Winnie hört im Film zwanghaft jeden Wetterbericht – warum, wird erst am Ende klar. Haben Sie privat auch Ticks?
(Überlegt.) Wenn ich merke, dass eine Verhaltensweise zu einem Zwang ausartet, dann versuche ich ganz bewusst, sie wieder sein zu lassen. Am Theater habe ich mir eine Zeit lang eingebildet, ich müsste bei Premieren immer dieselben roten Socken tragen, sonst wird das eine schlechte Vorstellung. Irgendwann wollte ich mich davon nicht länger peinigen lassen. Ich dachte: Es kann doch nicht sein, dass du keine Leistung bringst, wenn du diese Socken nicht anhast. Aber es war ein ganz schöner Kampf, davon loszukommen.
Sie haben einmal im Interview gesagt, ein festes Theaterengagement vertrage sich nicht mit der Arbeit vor der Kamera. Wären Sie jetzt, in Zeiten von Corona, froh, wenn Sie in einem festen Engagement wären?
Darüber habe ich keine Sekunde nachgedacht. Ich habe mich damals bewusst entschieden, frei zu arbeiten, und zwar mit allen Konsequenzen. Und wenn die Lage mal nicht so gut ist, dann ist das eben so. Natürlich muss man sich diese Freiheit leisten können, und ich hab’ mir tatsächlich auch etwas auf die Seite gelegt für solche Zeiten. Ich will nicht jeden Job annehmen müssen.
Das Gespräch führte Rudolf Ogiermann.