Die schönste Wasserleiche der Filmgeschichte zu sein – das ist eine Auszeichnung der etwas anderen Art. Leonardo DiCaprio hat mit seinem Eisberge und Herzen brechenden Auftritt in „Titanic“ 1997 in jedem Fall keinen schauspielerischen Schiffbruch erlitten. Der damals 23-Jährige sah in der Rolle des einfachen Burschen Jack Dawson unverschämt gut aus (die Frauen: Schmacht!); durfte den Part des selbstlosen Underdogs geben (die Männer: „Guter Kerl!“); und – das wäre im Fan-Gekreische der folgenden Jahre fast untergegangen: Er spielte fantastisch.
Wie fantastisch, daran erinnert Arte heute Abend ab 22.25 Uhr mit der Dokumentation „Leonardo DiCaprio: Most Wanted!“, die anhand von Ausschnitten aus seinen wichtigsten Werken die Entwicklung des Burschen aus Los Angeles zu einem der größten Stars in Hollywood nachzeichnet.
Leider bietet Henrike Sandners 52-minütige Rückschau für Fans und Kenner nichts Neues außer der Tatsache, dass sogar in Afghanistan nach dem irrsinnigen „Titanic“-Erfolg Friseure Leos Frisur als Haarschnitt anboten. Trotzdem schaut man gerne zu. Einfach, weil man DiCaprio gerne zuschaut. Und immer wieder fasziniert ist von dieser Ungerechtigkeit: Der Mann ist ja nicht nur mit Schönheit gesegnet, sondern noch dazu sympathisch, idealistisch und ein fleißiger Arbeiter, der den Erfolg nicht geschenkt bekommen möchte. Ein lebendig gewordener Jack Dawson.
Nur ohne Absaufen. Seit mehr als zwei Jahrzehnten verbucht er einen Erfolg nach dem anderen. Und hat, endlich!, 2016 nach fünf Nominierungen den höchst verdienten Oscar gewonnen. Ausgerechnet für „The Revenant“. Das passt. „Gilbert Grape – Irgendwo in Iowa“, „Blood Diamond“ und „The Wolf of Wall Street“ mögen die unterhaltsameren Werke sein – dass DiCaprio aber nicht mit ihnen, sondern in der Rolle eines zotteligen Überlebenskämpfers den Goldjungen holte, spiegelt ganz gut seine schauspielerischen Ansprüche wider. Nach „Titanic“ hat er bewusst Figuren gespielt, in denen von ihm mehr verlangt wurde, als nur ein schönes Gesicht zu sein. Über den hammerharten Billy etwa, den er in „Departed – Unter Feinden“ (2006) spielt, heißt es in der Doku so treffend: „Das ist sicherlich kein Typ, den sich ein 14-jähriges Mädchen über das Bett hängen würde.“
Leonardo DiCaprio wirft sich körperlich und verbal in die Rollen. So erreicht er alles, was er sich als Bub, der in unmittelbarer Nähe zu den Hollywood Hills aufgewachsen ist, erhofft hatte. Er hat sie erklommen. KATJA KRAFT