„Trauer ist mir wohlbekannt“

von Redaktion

INTERVIEW Ulrich Tukur über seinen Film „Meeresleuchten“, Melancholie und Kommissar Murot

Ob in „Das Leben der Anderen“, als „Rommel“, oder als „Tatort“-Kommissar Felix Murot – Filme mit Ulrich Tukur sind Ereignisse. Der 63-Jährige gehört zu Deutschlands renommiertesten Schauspielern und macht aus jeder Rolle ein Kabinettstück. In Wolfgang Panzers Fernsehfilm „Meeresleuchten“, zu sehen heute um 20.15 Uhr im Ersten, spielt Tukur einen erfolgreichen Geschäftsmann, den der Tod seiner Tochter bei einem Flugzeugabsturz aus der Bahn wirft. Um seine Trauer zu verarbeiten, zieht er in einen Ort an der Ostsee in der Nähe der Unglücksstelle und eröffnet dort eine Kneipe.

Ihr Film dreht sich um das Thema Trauer. Wie soll man dereinst mal um Sie trauern?

Erst neulich habe ich mich mit Freunden darüber unterhalten, wo und wie man uns dann verscharren soll. Ich konnte es nicht sagen. Ich schiebe also den Gedanken erst mal von mir weg, auch wenn er drohend am Horizont steht. Aber um Ihre Frage zu beantworten: Ich hätte schon gern, dass alle Menschen am Boden zerstört sind, wenn ich tot bin. (Lacht.)

Sie spielen einen Mann, dessen Tochter bei einem Flugzeugabsturz stirbt…

Ich selbst habe noch nicht erlebt, dass mir jemand unerwartet von der Seite gerissen wurde. Aber Trauer ist mir wohlbekannt – mein Leben ist voll davon. Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn man Menschen verliert, wenn Liebgewordenes verschwindet. Nichts bleibt, alles ist flüchtig, und diese Erkenntnis tut manchmal weh. Man darf, man soll sogar trauern, denn die Melancholie ist dem Leben ja nicht abgewandt, sie verleiht uns Würde in diesem absurden Theater.

Der Protagonist des Films bricht alle Brücken hinter sich ab und beginnt ein völlig neues Leben. Haben Sie sich auch schon gefragt, ob Ihr Leben ganz anders aussehen könnte?

Ja, natürlich, aber ich hadere nicht mit meinem Leben, ich hatte wirklich sehr viel Glück. Ich habe tolle Dinge machen können, ich habe interessante Menschen kennengelernt, ich habe an den schönsten Orten der Welt gelebt. Ich habe nicht den geringsten Anlass, unzufrieden zu sein. Aber nach fast 90 Filmen und den vielen Jahren am Theater denke ich manchmal: Eigentlich ist die Arbeit getan. Was mache ich denn jetzt noch? In 16 Jahren werde ich 80. Soll ich mich noch einmal neu aufstellen, und wenn, was könnte das sein?

Ihre Filmfigur eröffnet ein Strandlokal. Wäre das etwas für Sie?

Bei mir wäre es eine kleine Wirtschaft, ein dunkler, gemütlicher Raum, und natürlich würde ein Klavier drinstehen. Und vielleicht ein altes Grammophon. Es wäre ein verwunschener Ort, aus der Zeit gefallen, an dem man sich von der sogenannten Wirklichkeit verabschiedet, um zu träumen.

Wie geht es Ihnen denn in Zeiten von Corona?

Mein Immunsystem ist top, ich bin bisher gesund geblieben, ohne übertrieben vorsichtig zu sein. Am Anfang habe ich diese Auszeit tatsächlich genossen, weil ich einmal anhalten konnte, und es war gut, tagelang nichts zu tun zu haben. Aber dann wurde es irgendwann merkwürdig, immer unwirklicher, weil diese allgegenwärtige Paralyse einfach nicht mehr aufhörte. Inzwischen fühlt es sich an wie ein in Watte gepackter Albtraum.

Aber Sie haben doch trotz der Pandemie einige Filme gedreht?

Ja, ich hatte ein Riesenglück. Nicht als Musiker, alle Konzerte sind abgesagt, wir können froh sein, wenn wir im Sommer wieder auftreten können. Für meine Rhythmus Boys ist das katastrophal. Aber ich konnte in dieser Pandemie vier Filme hintereinander drehen. Nur ist jetzt auf einmal scheinbar Schluss. Alle sind in Wartestellung, niemand weiß, wie es weitergeht.

Wie geht es mit dem „Tatort“ weiter?

Wir haben im Herbst den zehnten Fall gedreht, unter der Regie von Rainer Kaufmann, mit großartiger Besetzung – Angela Winkler, Karoline Eichhorn, Lars Eidinger. Martin Rauhaus hat das Drehbuch geschrieben, das wieder einen großen Haken schlägt. Die „Tatorte“, die ich mit dem Hessischen Rundfunk mache, sollen ja auch überraschen, man darf alles, man darf uns nur nicht auf die Schliche kommen. In diesem Fall geht es um die Ermordung eines Philosophieprofessors und um seine kaputte Familie. „Murot und das Prinzip Hoffnung“ ist der Titel. Passt sehr gut in unsere Zeit.

Sie sind der Rolle des Felix Murot noch nicht überdrüssig?

Noch nicht. Solange der HR so mutig bleibt und der verantwortliche Redakteur die Qualität über die Einschaltquote stellt, mache ich weiter. Filme sollen unterhalten, aber auch fordern. Entgegen der dezidierten Meinung vieler Fernsehmacher ist es wichtig, sich hin und wieder auch mal anzustrengen. Substanz ist kein Übel.

Das Gespräch führte Cornelia Wystrichowski.

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