Was München nicht sehen möchte

von Redaktion

Heute startet auf Joyn Plus+ „Katakomben“ – Ein Einblick in dunkle Seiten der reichen Stadt

VON KATJA KRAFT

Fast streift die Louis-Vuitton-Tüte den Obdachlosen, der in der Münchner Maximilianstraße seine wenigen Sachen sortiert. Von der Passantin auf Shopping-Tour unbemerkt. Sie läuft einfach weiter. Plakativ? Durchaus. Doch dies ganz bewusst. Denn Regisseur und Hauptautor Jakob M. Erwa möchte in der Serie „Katakomben“, die der Bezahlsender Joyn Plus+ ab heute ausstrahlt, zeigen, was man in München lieber nicht sieht.

Das Thema liegt auf der Straße. Oder besser: darunter. „Ich hatte einen Artikel über diese Welt unter dem Hauptbahnhof gelesen, in der illegale Raves stattfinden, wo Obdachlose leben und Junkies Drogen konsumieren – das Schockierende ist: Ich als Münchner hatte nichts davon gewusst“, erzählt Produzent und Autor Florian Kamhuber. Untergrund, Illegalität, oben Reichtum, unten Elend – bei diesen Schlagworten läuft bei Geschichtenerzählern natürlich der kreative Motor heiß.

Keine Dokumentation sollte es sein, trotzdem offenbart die sechsteilige Thriller-serie viele unschöne Wahrheiten über die bayerische Landeshauptstadt. Berliner Geschichten werden ja ständig erzählt im deutschen Fernsehen und Kino, nun sei mal München an der Reihe gewesen, findet Florian Kamhuber. Die Stadt, in der sehr arm und sehr reich aufeinandertreffen – und einander doch nie richtig begegnen.

Man fühlt sich ertappt bei den Bildern vom Münchner Hauptbahnhof. Die Kostümbildner haben gute Arbeit geleistet. Beschämt sieht man Menschen, die in der Kälte liegen, und an denen Passanten achtlos vorbeihetzen. „In einer reichen Stadt wie München muss es keine Kältetoten geben“, sagt die Stadtbaurätin Anna Mahler (Aglaia Szyszkowitz) einmal in die Fernsehkameras. Auch das ein Satz, den jeder, der im Warmen sitzt, natürlich gerne glauben möchte. Und deshalb glaubt. Die Wahrheit, das erzählt die gelungene Serie voller Spannung, sieht anders aus.

„Katakomben“ lebt von einem harmonierenden Schauspielensemble, dem man sogar das teils sehr nervige Jugendsprech-Denglisch abnimmt und verzeiht. Allen voran Mercedes Müller, die die Überlebenskämpferin Tyler spielt. Sie tut aus Motiven, die erst später verständlich werden, etwas Schreckliches. Ihre Figur ist exemplarisch für alle hier: Keiner ist nur gut oder schlecht. „Wir starten sehr bewusst sehr plakativ. Aber ab der zweiten Folge wollen wir zeigen, dass es nicht nur Schwarz und Weiß gibt“, betont Regisseur Erwa.

Klar leben etliche Rich Kids in München – reiche Töchter und Söhne wie Nellie (Lilly Charlotte Dreesen) und ihr Bruder Max (Nick Romeo Reimann). Doch gerade an Nellie zeigt sich, dass Geld nicht automatisch Glück bedeutet. Das klingt nach Klischee, die werden an mancher Stelle auch bedient – die Sogwirkung aber, die die Serie nach dem Verschwinden von Max in den Katakomben auf den Zuschauer ausübt, bleibt bis zum Schluss stark. Auch, weil man auf Diversität setzt: Etablierte Schauspieler wie Marleen Lohse treffen auf neue Gesichter; und ein Staatsanwalt mit dem sehr deutschen Namen Dominik Liebknecht wird ganz selbstverständlich von dem gebürtigen Vietnamesen Yung Ngo gespielt.

Am Ende stehen viele Antworten auf aufgeworfene Fragen – doch genauso viele Fragezeichen. Man möchte wissen, wie es weitergeht mit denen da oben und denen da unten. Und im Hintergrund singt eine Obdachlose leise „Die Internationale“. „Das war unser Ziel: ein befriedigendes Ende – aber Neugierde auf mehr“, sagt Kamhuber. Auch das: geglückt.

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