Mörderische Menschenversuche

von Redaktion

„Die Toten von Marnow“ erzählt den DDR-Pharmazieskandal als packenden Thriller

VON ASTRID KISTNER

Im Jahrhundertsommer 2003 liegt flirrende Hitze über Schwerin. Alles schwitzt – außer die zwei Männer, die am selben Tag mit einem präzisen Kehlschnitt getötet wurden. Die Kommissare Lona Mendt und Frank Elling vermuten zwar, dass es einen Zusammenhang zwischen den Morden geben könnte, haben aber keine Ahnung von der politischen Brisanz der Bluttaten. Mit „Die Toten von Marnow“ ist Holger Karsten Schmidt auf 480 Romanseiten ein packender Polit-Thriller gelungen (erschienen bei KiWi). Dass er ihn nicht in 90 Sendeminuten pressen muss, sondern als ARD-Miniserie erzählen darf, ist ein Geschenk – vor allem an die Zuschauer, die sich auf ein großartiges Fernsehereignis freuen dürfen.

Die Geschichte

Was als Krimi beginnt, nimmt als Drama Fahrt auf und mündet in einen Thriller, in dem ein dunkles Kapitel der deutsch-deutschen Geschichte aufgeschlagen wird. Denn hinter den Morden steckt ein DDR-Pharmazieskandal, der vertuscht werden soll. Als Zuschauer tappt man ebenso lange im Dunkeln wie die Ermittler Mendt und Elling, die von ihren mächtigen Gegenspielern so unter Druck gesetzt werden, dass sie sich zu immer fragwürdigeren Handlungen hinreißen lassen. Wer ist gut, wer ist böse, und welche Mittel sind im Kampf um Gerechtigkeit erlaubt?

Der reale Hintergrund

In den Achtzigerjahren beauftragten westliche Pharmaunternehmen Studien in der DDR. Teilweise ohne das Wissen ostdeutscher Patienten wurden neue Medikamente an ihnen getestet – auch mit tödlichen Folgen. Gebilligt und angeordnet wurde das von der DDR-Führung, die mit den Devisen aus den Weststudien ihre bankrotte Staatskasse füllte.

Die Hauptfiguren

Der Vierteiler nimmt sich genügend Zeit, seine beiden Hauptcharaktere zu erklären. Frank Elling (überzeugend besetzt mit Sascha Gersak) will nicht nur ein guter Polizist, sondern auch ein liebevoller Familienvater sein. Er sorgt sich ums Haus, die Frau, die Tochter und die demente Mutter. Doch der Wunsch, alle zufrieden zu stellen, macht ihn angreifbar. Zu spät begreift er, dass seine Bestechlichkeit weitreichende Folgen hat. Seine Kollegin Lona Mendt (Petra Schmidt-Schaller) steht zu Elling – auch, als er Mist baut. Ihre Loyalität ist ebenso groß wie ihre Unnahbarkeit. Eine Frau, die sich nimmt, was sie will, und dabei ein dunkles Geheimnis hütet.

Der Regisseur

Der in Bad Tölz geborene Regisseur Andreas Herzog liefert mit „Die Toten von Marnow“ ein Genre-Epos ab, das den internationalen Vergleich nicht zu scheuen braucht. Es geht hart zur Sache in diesem Vierteiler, in dem ehemalige Stasi-Spitzel mitmischen, das LKA und ein Pharmakonzern ihre Finger im Spiel haben. Herzog taucht die aufgeladene Handlung in hitzige Sommerbilder. Landschaften wie Mecklenburgs Seen, Wälder und Wiesen erscheinen im Westernlook und werden untermalt von atmosphärischer Filmmusik, für die Martin Tingvall verantwortlich zeichnet.

Das Fazit

Einschalten lohnt sich! Die vier 90-Minüter sind mitreißend, überraschend und streckenweise brutal. Schauspieler wie Jörg Schüttauf, Sascha Gersak, Petra Schmidt-Schaller, Anton Rubstov und Christine Schorn verschmelzen zu einem Ensemble, das die Klaviatur kluger Krimiunterhaltung bis in die letzte Szene beherrscht.

Die Sendetermine:

Die Folgen eins und zwei laufen an diesem Samstag, Folge drei gibt’s am Mittwoch, Folge vier am Donnerstag, jeweils um 20.15 Uhr. Alle vier Teile sind in der Mediathek verfügbar.

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