Schrei nach Liebe

von Redaktion

Das ZDF zeigt das TV-Drama „Systemsprenger“ und erklärt in einer Doku die Hintergründe

VON ASTRID KISTNER

Luca ist ein sogenannter Systemsprenger. Ein Kind, dass nirgendwo klarkommt, aneckt und in seinen willkürlichen Wutausbrüchen andere verletzt. Warum? „Keine Ahnung“, sagt der 9-Jährige mit leiser Stimme. Die ZDF-Dokumentation „Schrei nach Liebe“, die heute um 22.10 Uhr im Anschluss an das Fernsehdramas „Systemsprenger“ gezeigt wird (siehe Kasten), findet Antworten auf das Verhalten von Kindern wie Luca, die Betreuungseinrichtungen überfordern.

Im Gespräch mit Filmemacherin Liz Wieskerstrauch wirkt Luca vernünftig und aufgeschlossen. Er hat Sehnsucht nach seinen Eltern, die er seit fünf Jahren nicht mehr gesehen hat. Eltern, die ihn als Baby und Kleinkind misshandelt haben. Auf seiner Odyssee zwischen Kinderheimen, Pflegefamilien, der Jugendpsychiatrie und verschiedenen Wohngruppen hat er das Vertrauen verloren. Mit jedem Wechsel wurde seine Wut größer, sein Verhalten unberechenbarer. In Deutschland gibt es etwa 8000 bis 13 000 Systemsprenger. Kinder, die nicht als solche geboren, sondern von ihren Mitmenschen dazu gemacht werden. Bei ihnen versagt das Hilfesystem, weil die Institutionen nicht ausreichend untereinander vernetzt sind, weil es kein einheitliches Konzept, keinen abgestimmten Therapieansatz gibt. Der Kinderpsychologe Dr. Stefan Rücker berät Einrichtungen, die Systemsprengern helfen wollen. Er weiß: Kinder, die ihre Mitmenschen wegstoßen, suchen eigentlich nach Nähe. Doch bevor sie ein Vertrauensverhältnis zu Betreuern aufbauen, testen sie sie aus. „Sie reinszenieren ihr Trauma und schauen: Was passiert, wenn ich dich schlage und beleidige? Bleibst du dann bei mir oder wendest du dich wie alle anderen ab? Ihr Verhalten ist eine Art Prüfung“, erklärt Rücker.

Es sind harte Prüfungen: Missmut kann sich binnen Sekunden zu einem gefährlichen Ausraster steigern. Und diese Wut verleiht Kindern erstaunliche Kräfte. Doch woher kommt sie? Rücker verwendet im Film Worte wie Ablehnungserfahrungen, Bindungsstörungen und Beziehungsabrisse. Einfacher gesagt: Kindern wie Luca mangelt es an Sicherheit. Sie fühlen sich ungeliebt und abgeschoben. Was ihnen hilft, sind verlässliche Bezugspersonen, die sie durch Krisen begleiten und auch zu ihnen stehen, wenn sie Mist bauen. So wie Christoph Tarrach. Als Einzelbetreuer begleitet er Luca. Gemeinsam haben sie bereits eine Woche im Wald verbracht, ohne Strom, ohne Wasser, dafür mit viel gemeinsam erlebter Natur. „Ich bin kein Ersatzvater“, sagt Tarrach. „Aber vielleicht kann ich helfen, Lucas Vertrauen zurückzugewinnen.“

Artikel 3 von 3