Leiden mit Leon

von Redaktion

Im Jahr 1996 war Deutschland das bisher einzige Mal nicht im Finale des Eurovision Song Contest

VON GREGOR THOLL

Es war der 22. März 1996, als die Nachricht über den Ticker lief, die die Nation erschütterte: „Deutschland hat den Einzug ins Finale des Grand Prix Eurovision verpasst. Der Titel ,Blauer Planet‘ des Münchner Sängers Leon ist bei der eurovisionsinternen Vorausscheidung gescheitert.“ Ein neuer Tiefpunkt in der Geschichte des 1956 erstmals ausgetragenen Wettbewerbs, im Jahr zuvor waren Stone & Stone mit „Verliebt in Dich“ Letzte geworden.

Die Pleite hatte Konsequenzen für die Übertragung des Finales. Die ARD entschied, es am 18. Mai – heute vor 25 Jahren – nur in einer Aufzeichnung nach dem Spätfilm zu zeigen. Nur im Dritten des Norddeutschen Rundfunks (NDR) war es zwischen 21 und 24 Uhr live zu sehen. „Moderator Ulf Ansorge reicherte seine Kommentare öfter mit Hinweisen an, eigentlich sei dieser oder jener Titel wirklich schlechter als des Deutschen ,Blauer Planet‘“, erinnert sich ESC-Experte Jan Feddersen.

Der von Hanne Haller produzierte Eurodance-Song war ein Lied zwischen typischem Sound der Neunzigerjahre und Neuer Deutscher Welle, eine Mischung aus Marusha und Nena. Textlich war das Lied ganz besorgt: „Vieles könnte echt besser sein, vielleicht fällt mir hier oben was ein, ich weiß, der Countdown läuft.“ Und weiter: „Irgendwann macht’s ’nen großen Knall, und das will ich auf keinen Fall…“ Und schließlich: „Planet of blue, I love you, I love you…“

Doch wie kam es überhaupt zu der Schmach? Zum Finale waren damals nur 23 Nationen zugelassen. Insgesamt hatten aber 30 Länder Songs an den Start geschickt, sodass sieben Beiträge aussortiert werden mussten, unter anderen der deutsche. Leon hatte mit dem „Blauen Planeten“ am 1. März in Hamburg den Vorentscheid gegen neun Konkurrenten gewonnen. Eine Jury der „Arbeitsgemeinschaft deutsche Musikwettbewerbe“ hatte die zehn Schlager aus 737 Titelvorschlägen ausgesucht. Das Publikum konnte über TED abstimmen – und votierte mit 38 Prozent eindeutig für Leon, dessen eigentlicher Name Jürgen Göbel lautete und der inzwischen 52 Jahre alt ist.

„Nun brauchen die Mädels nicht mehr um Robbie von Take That zu weinen, jetzt haben sie ihren eigenen Robbie“, meinte damals „Tagesschau“-Sprecher Jens Riewa als Moderator des Vorentscheids. Das von A-ha-Frontmann Morten Harket und der Journalistin Ingvild Bryn in Oslo moderierte Finale im Jahr 1996 gewann dann in deutscher Abwesenheit übrigens mal wieder Irland – mit dem Lied „The Voice“ und Sängerin Eimear Quinn. Der an irisch-gälische Volkslieder angelehnte Popsong sorgte für den siebten (und bisher letzten) irischen Sieg nach 1994, 1993, 1992, 1987, 1980 und 1970.

Der einzige deutschsprachige Beitrag, das österreichische „Weil’s dr guat got“ von George Nussbaumer, landete auf dem zehnten Platz. Die Schweiz kam mit Kathy Leander und „Mon coeur l’aime“ auf Rang 16. In Folge des damaligen deutschen Unglücks entschied die Europäische Rundfunkunion (EBU) als ESC-Veranstalterin), dass die großen Geldgeberländer Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien und Großbritannien, die „Großen Fünf“, künftig auf jeden Fall beim Song Contest im Finale stehen. Das ist auch ein Vierteljahrhundert später noch so.

Gute deutsche Platzierungen hatten gleichwohl Seltenheitswert in den vergangenen Jahren. Zwar gab es durch Lena Meyer-Landrut im Jahr 2010 den zweiten Sieg überhaupt, jedoch seit dem Jahr 2000 auf der anderen Seite nicht weniger als sechs letzte Plätze.

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