Am Ende hatte Jendrik sogar weniger Punkte als Schalke 04. Während der Bundesliga-Absteiger wenigstens noch 16 Pünktchen zusammenkratzte, belegte der deutsche ESC-Beitrag „I don’t feel Hate“ in Rotterdam mit drei Mitleidspunkten (zwei aus Österreich, einer aus Rumänien) mal wieder den vorletzten Platz. Während die mitreißenden Sieger der italienischen Rockband Måneskin („Zitti e buoni“, 524 Punkte) „Rock’n’Roll will never die“ jubelten, ging der tapfere Hamburger Jendrik Sigwart erwartungsgemäß unter. Er gab danach selbst zu: „Ich habe mir schon gedacht, dass das passieren könnte.“ Nach der nächsten Pleite beim „Eurovision Song Contest“ braucht Deutschland als „Schalke des Singens“ einen kompletten Neuanfang. Fünf Dinge, die sich ändern müssen:
1. Schluss mit den Hinterzimmern: Zuletzt hat der NDR die Teilnehmer von zwei „Fachjurys“ aussuchen lassen, die keiner je gesehen hat. Den Fans wurden dann Ben Dolic (für den ausgefallenen ESC 2020) und Jendrik vorgesetzt. Dass bei dieser Musik-Bürokratie keine mitreißenden Songs und keine Begeisterung beim ESC-Volk herauskommen, hat auch Jendrik verstanden: „Ich wusste, dass ,I don’t feel Hate‘ nicht mein bestes Lied ist, ich habe geilere. Aber ich wusste auch, dass ich von den deutschen Jurys nur mit diesem Lied für den ESC ausgewählt werde.“ Wenig überraschend wollte es Corona-Europa heuer krachen lassen, wollte träumen und Spaß haben – und nicht von Deutschland über Fehlverhalten in sozialen Medien belehrt werden.
2. Unser Song für Rom: Deutschland braucht wieder eine große TV-Vorentscheidung. Warum, zeigen die Italiener. Sie schicken traditionell den Gewinner ihres San-Remo-Festivals zur Eurovision. Wer für Italien antritt, ist also schon ein Sieger, der das Land begeistert hat. „Booom – die ESC-Show“ mit Florian Silbereisen könnte so ein Spektakel sein. Ob man Silbereisen mag oder nicht: Er kommt bei Alt und Jung an und weiß, wie erfolgreiche Musikshows funktionieren. Und die ESC-Begeisterung ist in Deutschland immer noch groß: 7,74 Millionen schauten bei ARD und ONE zu.
3. Mehr Vielfalt: In Rotterdam gewann eine italienische Rockband vor einer Chansonsängerin aus Frankreich. Unter den Top 5 war nur ein englischsprachiges Lied. Eine Vielfalt, so groß wie nie. Deutschland dagegen schickt seit Jahren einfallslos Casting-Sternchen mit englischsprachigen Songs zum ESC. Eine Band, die auf Deutsch rockt, vergleichbar mit Måneskin, ist in diesem Konzept gar nicht vorgesehen.
4. Comeback für ProSieben: Als sich der Münchner Privatsender von 2010 bis 2012 mit um den ESC kümmerte, lief’s: Platz 1 und 10 für Lena, Platz 8 für Roman Lob. Seither sorgte der chronisch erfolglose NDR-Eurovisions-Boss Thomas Schreiber für die Plätze 21, 18, 27, 26, 25, 4 (mit Zufallstreffer Michael Schulte), 25 und 25. Als Belohnung wurde er t zum Chef der ARD-Filmtochter Degeto befördert. Der Zeitpunkt ist also perfekt: Das Erste hat die Nummern von Frührentner Stefan Raab, von Joko und Klaas. Die Macher von „The Masked Singer“ wissen auch, wie tolle TV-Shows gehen.
5. Her mit den Stars: Große Stars müssen keine Angst mehr vor dem ESC haben. Selbst Platz 15 sorgt heute für so viele Follower, für so viele Klicks bei Instagram und TikTok – die Teilnahme lohnt sich allemal. Die erfolgreiche Hamburger Songwriterin Zoe Wees („Control“), brillanter Pop-Rap von Cro oder Ohrwurm-Pop von Sasha – alles ist möglich. Vielleicht hat ja auch Rammstein Lust, wiedie italienischen Sieger Måneskin zu rocken. An den Pyros soll’s nicht scheitern.