Schön böse

von Redaktion

Disney+ zeigt „Cruella“ – die Vorgeschichte vom Klassiker „101 Dalmatiner“

Immer schön auf gut geschnittene Röcke achten, Ladys. Von Cruella de Vil kann man lernen, wozu einem das noch einmal nutzen kann. Wir erinnern uns? Cruella de Vil: schwarz-weiße Haare, irres Lachen, vernarrt in die Idee, einen Mantel aus echtem Dalmatiner-Fell zu besitzen. Glenn Close spielte die gefürchtete Modedesignerin in „101 Dalmatiner“, einem der Kinoerfolge des Jahres 1996. Es war eine Realverfilmung des Zeichentricks von 1961. Disney hat sich die Sache mit dem Wiederaufwärmen erfolgreicher Stoffe ja nicht erst in den vergangenen Jahren einfallen lassen, in denen man sich als Zuschauer allzu häufig über technisch herausragende, doch leider bei aller Perfektion wenig ins Herz treffende Neuinterpretationen von Klassikern wie „Das Dschungelbuch“ ärgern musste.

Bei den 101 Hunden gelang die Neuauflage damals besser, ja, richtig gut. Was also tut man als milliardenschwere Produktionsfirma, wenn man Bewährtes bereits erfolgreich mit anderen Mitteln wiederverwertet hat? Man wagt statt der vierhundertdreiundsiebzigsten Superhelden-Geschichte mal wieder einen Familienfilm à la Disney. Mit alterprobten Mitteln: fulminante Ausstattung, kreative Schreiber, beste Schauspieler – und sicherheitshalber einem Bezug zum Original. Auf Neudeutsch nennt sich das dann „prequel“. Oder einfach Vorgeschichte.

Nun startet „Cruella“, diese Vorgeschichte von „101 Dalmatiner“, bei Disney+. Ein Jammer. Gäb’s das unsägliche Corona nicht, dann gäb’s die unsäglichen Kinoschließungen nicht. Und wir säßen jetzt bei diesem Miesepeterwetter in einem der Lichtspielhäuser der Stadt und würden uns berauschen an den Kostümen, die schon im Kleinformat großartig ausschauen. Oscar-Preisträgerin Jenny Beavan hat sie entworfen. Die Britin hat davor für einigermaßen unterschiedliche Projekte wie die Jane-Austen-Verfilmung „Emma“ und den vogelwilden Endzeitfilm „Mad Max: Fury Road“ gearbeitet. Es muss ihr einen Heidenspaß gemacht haben, hier all die verschiedenen Stile zusammenzuführen. Denn Titelheldin Cruella trägt den Punk im Herzen und am Leib – doch weiß als Designerin höchst anmutige, mit raffinierten Details versehene Hingucker zu kreieren. Für die Zuschauerinnen und Zuschauer bedeutet das einen überaus ansehnlichen Mix aus Vivienne-Westwood-Wildheit und Dior-Eleganz.

Diese Polarität der modischen Ausdrucksformen verweist auf die zwei Seelen, die in Cruellas Brust wohnen. Sie wächst – geboren mit schwarz-weißer Tolle – in den Sechzigern in England als Estella auf. Ohne um ihre dunkle Familiengeschichte zu wissen. Nach dem gewaltsamen Tod ihrer Mutter schließt sich das Mädchen zwei anderen Waisenkindern an, schlägt sich als Trickbetrügerin durch. Bis ihr Traum in Erfüllung geht: Estella beginnt im angesehenen Modehaus der Baroness von Hellman zu arbeiten. Und erfährt hier von ihrer Vergangenheit. Das erweckt Cruella, die schwarze Seite in ihr, wieder zum Leben.

Das muss genügen an Zusammenfassung. Hier wird nicht gespoilert. Dafür gelobt. Wie war das mit dem Disney-Erfolgsrezept? „Fulminante Ausstattung, kreative Schreiber“ und: beste Schauspieler. Bittesehr. Zwei Emmas sind noch besser als eine. Wer Glenn Close als Cruella de Vil geliebt hat, findet in Emma Thompson die britische Antwort darauf. Die fabelhafte Schauspielerin gibt die kühle Baroness und Chefin der jungen Cruella, die dem Mädchen alle Widerlichkeiten vorlebt. Unnachahmlich, wie sie einem überforderten Kellner die Champagnerflasche aus den Händen reißt und sie in Sekundenschnelle selbst öffnet, um dann auf ihr eigenes Genie anzustoßen. Doch dieses Biest ist nicht nur fies. Sondern auch voller weiblicher Stärke und Eleganz, die auf faszinierend scheußliche Weise funkelt. Schön böse.

Emma Stone ist Thompson eine ebenbürtige Gegenspielerin. Leichtfüßig wechselt sie zwischen eiskaltem „Birds of Prey“-Zombie und grauer Maus à la Andy aus „Der Teufel trägt Prada“. Mal funkeln ihre Augen arglistig, dann wieder schaut sie damit treuherzig drein wie ein zartes Unschuldslamm. In den irrsten Kreationen (die man bitte sofort im Kleiderschrank hängen haben möchte) taucht Cruella medienwirksam bei Mode-Events auf, um der Baroness in der Fashion-Welt den Rang abzulaufen. Unterlegt wird dieses Spektakel, das sich zum Ganovenspaß à la „Ocean’s Eleven“ entwickelt, vom exzellenten Soundtrack mit Klassikern von Deep Purple bis The Clash. So müssen sie geklungen haben, die Siebziger in London. Genauso stilsicher gewählt wie die Outfits. Sitzt perfekt. KATJA KRAFT

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