Der Mann, der zu viel log

von Redaktion

Das Magazin „Reportagen“ veröffentlicht ein Interview mit 90 Fragen an Artikel-Fälscher Claas Relotius

VON ANNA RINGLE

Er war gefeierter Journalist, dann stürzte er den „Spiegel“ Ende 2018 in eine Krise. Claas Relotius hatte immer wieder in seinen Texten betrogen. Nun hat er in einem Interview erstmals ausführlich über seine gefälschten Texte gesprochen. Der Schweizer Zeitschrift „Reportagen“ sagte er auf die Frage, wie viele seiner 120 verfassten Texte in seiner Journalistenzeit korrekt waren: „Nach allem, was ich heute über mich weiß, wahrscheinlich die allerwenigsten.“ Er habe „in der unverrückbaren Überzeugung geschrieben, es würde bei der Erzählform Reportage keinen Unterschied machen, ob alles 1:1 der Realität entspricht oder nicht“.

Das Magazin „Reportagen“ veröffentlichte am Dienstag auf seiner Webseite ein ungewöhnlich langes Interview mit mehr als 90 Fragen an den früheren „Spiegel“-Reporter. Relotius hatte in der Vergangenheit für den „Spiegel“ Reportagen geschrieben, die fehlerhaft waren, und zum Teil erfundene Szenen, Gespräche und Ereignisse enthielten. Er war als Journalist mit Preisen überhäuft worden, genoss hohes Ansehen. Der „Spiegel“ machte den Betrugsfall selbst öffentlich und arbeitete diesen akribisch auf.

Relotius, damals Anfang 30 und für das Gesellschaftsressort tätig, hatte die Fehler laut „Spiegel“ eingeräumt. Seine Karriere bei dem Nachrichtenmagazin war vorbei. Es folgten weitere personelle Konsequenzen im Haus, man überarbeitete zudem die redaktionellen Standards. Viele andere deutsche Redaktionen steuerten bei ihren Quellenchecks nach.

Es gibt eine Verbindung zwischen Relotius und der Zeitschrift „Reportagen“, die das Interview veröffentlichte: Er schrieb zeitweise auch freischaffend für diese Redaktion. Mit einem Text für „Reportagen“ gewann er 2013 den Deutschen Reporterpreis. Im Editorial der neuen Ausgabe des Magazins, in der das Interview in einer kürzeren Form von immerhin rund 20 Seiten an diesem Donnerstag erscheint, heißt es: „Auch wir waren mit fünf Texten betroffen.“

Der Ex-Reporter spricht detailliert über die Fälschungen. Es geht in weiten Strecken auch um sein Leben nach dem großen Knall. Er berichtet von seiner Therapie und geht auf das Buch seines Ex-Kollegen Juan Moreno ein. Dieser hatte den Skandal aufgedeckt und veröffentlichte im Jahr darauf „Tausend Zeilen Lüge – Das System Relotius und der deutsche Journalismus“. Die Produktionsfirma Ufa Fiction will es wie berichtet verfilmen.

Im Interview sagt Relotius auf die Frage, wie die Zukunft aussehe, er habe sich zweieinhalb Jahre lang vor allem damit beschäftigt, die Vergangenheit zu verstehen. „Ich kann das nicht erklären, aber ich hatte jahrelang nie Angst, nie Zweifel, auch nie ein schlechtes Gewissen.“ Mehrmals betont er, nicht aus karrieristischem Kalkül gehandelt zu haben: „Natürlich wollte ich gute Texte schreiben. Ich habe beim Schreiben aber nicht daran gedacht, was wie irgendwo ankommt. Ich war immer nur mit dem jeweiligen Thema und mit mir beschäftigt.“

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