Sie sind so frei

von Redaktion

Heike Nikolaus’ Dokumentation „Camping – Die Geschichte einer Leidenschaft“ bei Arte

VON CORNELIA WYSTRICHOWSKI

Kein Frühstück aufs Zimmer und schon gar keine Vollpension, dafür ganz viel Freiheit – Campingurlaub ist beliebt, und gerade in Zeiten von Corona boomt das Reisen mit Wohnwagen oder Wohnmobil. Anlass genug für den Kulturkanal Arte, die Wonnen dieser Urlaubsform einmal näher unter die Lupe zu nehmen, bei der man das eigene Wohnzimmer immer dabeihat. Dabei stellt die charmante Dokumentation „Camping – Die Geschichte einer Leidenschaft“, zu sehen morgen um 20.15 Uhr, nicht nur skurrile Gefährte und eingefleischte Fans vor, sondern erzählt auch eine kleine Kulturgeschichte des Reisens.

Da erfährt der Zuschauer beispielsweise, dass das Campen einst nicht etwa als preisgünstige Reiseform mit Übernachtung im Zelt angefangen hat, sondern als extravaganter Luxus für reiche Briten. Bei der Upperclass kam es vor rund 100 Jahren in Mode, mit dem Wohnanhänger zu reisen – natürlich standesgemäß. Den Fünf-Uhr-Tee ließen sich die Urlauber im holzgetäfelten Salon mit Dienstboteneingang servieren, das Personal reiste extra. „Glamping“, kurz für „Glamourous Camping“, nennt man die Nobelvariante des Naturtourismus heutzutage.

Später erkannte dann die arbeitende Bevölkerung das Campen als Möglichkeit, der Enge der städtischen Mietskasernen zu entfliehen und ihr Zelt im Urlaub da aufzuschlagen, wo es ihnen am besten gefiel. In den Siebzigern funktionierten viele Hippies ihren VW Bulli zum Campingbus um und tuckerten damit auf der Suche nach Erleuchtung und Alternativen zum westlichen Lebensstil bis nach Indien und Nepal.

Fernsehjournalistin Heike Nikolaus hat selber schon die entlegensten Winkel der Welt bereist, ihr Dokumentarfilm ist eine Liebeserklärung ans Campen, eine Hommage an Freiheit und Abenteuer. In ihrem Film präsentiert sie die rollenden Mini-Heime als Spiegel ihrer Zeit und stellt historische Fahrzeuge vor, die von ihren Besitzern liebevoll gepflegt werden. Skurril ist zum Beispiel der faltbare „Fawoboo“. Er punktete in den Sechzigerjahren mit einem abnehmbaren Dach, das dem Reisenden auch als Boot diente.

Für ihren Film besuchte Nikolaus auch den Hersteller Dethleffs im Allgäu. Firmenchef Arist Dethleffs erfand 1931 den ersten Caravan Deutschlands, damals noch „Wohnauto“ genannt. Das Gefährt sollte eigentlich privaten Zwecken dienen, seine Frau wollte Arist bei seinen langen Geschäftsreisen begleiten. Doch als der Caravan bei den Kunden auf größeres Interesse stieß als die Reitpeitschen und Skistöcke, die das Unternehmen sonst herstellte, sattelte die Firma allmählich um.

Neben dem nostalgischen Blick in den Rückspiegel zeigt die Doku, was die Zukunft des mobilen Reisens bringt. Die Branche boomt, und das nicht erst, seit viele Urlauber wegen Corona auf diese Art des Urlaubens ausweichen. Der Trend geht bei vielen Reisehungrigen zu mehr Komfort, vor allem eine Dusche an Bord wird immer wichtiger, weil die Leute nicht die sanitären Anlagen auf dem Campingplatz nutzen wollen – bei der Körperhygiene hört der Spaß am Abenteuer bei vielen eben auf.

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