Nicht einen Anruf gab es. Keine Postkarte. Keinen Brief. 45 Jahre lang hatten Jutta Speidel und Katrin Eder keinen Kontakt zueinander. Wussten noch nicht einmal genau, wo und wie die andere inzwischen lebt. Als sie junge Mädchen waren, hatten sie oft zusammen gespielt. Ihre Eltern waren in München eng befreundet. Als junge Frau entschloss sich Katrin Eder dann Mitte der Siebzigerjahre, Bayern zu verlassen und in der DDR einen Neustart zu wagen, der Liebe wegen. „Ich dachte, Katrin ist deppert“, erinnert sich Jutta Speidel und lacht. „Ich hatte für ihre Entscheidung, über West-Berlin in die DDR zu gehen, kein Verständnis.“
Dass sich die beiden Frauen nun wiedergetroffen haben, ist im Grunde der ARD zu verdanken. Für die Dokumentation „Wir Kinder der Mauer“, die im Rahmen eines Themenabends Anfang August ausgestrahlt wird, suchten die Autoren Protagonisten, die sich zwischen 1961 und 1989, also den Jahren, in denen Mauer und Stacheldraht Berlin und ganz Deutschland teilten, für ein Leben jenseits der Freiheit entschieden. Katrin Eder wurde eine von ihnen. Und gefragt nach Kontakten in ihre frühere Heimat, kam sie auf Jutta Speidel. „Logisch, dass die ARD darauf sofort geflogen ist“, sagt die Schauspielerin rückblickend und macht keinen Hehl daraus, dass sie zunächst zögerte, bei der Aktion mitzumachen. „Eigentlich mag ich nicht“, sei ihre erste Reaktion gewesen, so Speidel. „Im Nachhinein muss ich aber sagen: Ich freue mich sehr über unser Wiedersehen, wir haben uns auf eine ganz andere Art und Weise sogar ein Stückchen wiedergefunden.“ Während der Dreharbeiten zog Katrin Eder sogar bei ihrer Freundin von einst ein. Corona-bedingt hatten die Hotels geschlossen, erinnert sich Jutta Speidel. „Deswegen habe ich gesagt: ,Weißt du, Katrin, du kannst bei mir übernachten.‘“ Und das sei dann wirklich sehr schön gewesen. „Wir haben viel über unsere inzwischen verstorbenen Eltern gesprochen“, erzählt die Münchnerin. „Und wir konnten sehr frei über sie reden, weil wir ihnen nicht mehr wehtun können, wenn wir vielleicht Sachen sagen, die nicht so schön sind.“
Verständnis für die Entscheidung ihrer Freundin, das Leben als wohlbehütete junge Frau in München einzutauschen gegen eines in der DDR, kann Jutta Speidel aber auch nach dem Wiedersehen nicht aufbringen. Ein Leben im Osten mit all den Einschränkungen wäre für sie selbst niemals infrage gekommen. „Never ever, niemals“, sagt sie. „Ich möchte für mein Leben nicht eingesperrt sein. Dieser Schritt wäre für mich wirklich das Allerletzte gewesen. Ich liebe meine Freiheit zu sehr.“
Kontakt halten wollen Jutta Speidel und Katrin Eder nach ihrem Wiedersehen übrigens auf jeden Fall. „Ich habe mir ganz fest vorgenommen, Katrin bei meinem nächsten Aufenthalt in Berlin zu besuchen“, sagt die Schauspielerin. „Ob das eine Freundschaft in dem Sinne ist, weiß ich noch gar nicht.“ Mit dem Begriff, sagt Jutta Speidel, müsse man schließlich vorsichtig umgehen.