Ein uferloser Prozess

von Redaktion

PREMIERE Ferdinand von Schirachs Serie „Glauben“ über einen deutschen Justizskandal

Dieser Samstagnachmittag auf dem Filmfest München hatte nur einen Haken: Er ging zu Ende. Viel zu früh noch dazu. Gern hätte man nach den ersten drei Folgen der Serie „Glauben“ laut von seinem Liegestuhl aus zur Leinwand am Olympiasee gerufen: „Weitermachen! Weitermachen!“ Aber nein, jeder, der gekommen war, um einen Einblick in Ferdinand von Schirachs erstes Serienprojekt zu bekommen, muss sich nun bis Herbst gedulden. Erst dann werden alle sieben Episoden bei TV NOW, der Streaming-plattform von RTL, gezeigt. Kurze Zeit später laufen sie bei Vox im frei empfangbaren Fernsehen.

Bei dieser Premiere im Sonnenschein (Hauptdarsteller Sebastian Urzendowsky: „Ich habe noch nie zuvor Sonnenbrand bei einer Kinopremiere bekommen.“) jedenfalls wurde schon nach eineinhalb Stunden klar: Diese Serie ist ein Muss für jeden, der sich wieder einmal mit Ferdinand von Schirach aufschwingen möchte, eine knifflige Frage zu durchdenken. Es ist gewissermaßen das Lebensthema des Juristen und Bestsellerautors: Von welchen Impulsen lassen wir uns bei der Wahrheitsfindung in einem Strafdelikt leiten – und wie gelingt es, auch nach den perfidesten Verbrechen den Tätern ein faires Verfahren zu gewähren? Denn, das haben Schirachs Bücher wie „Schuld“, „Verbrechen“ oder „Gott“ und die Verfilmungen derselben verdeutlicht: Auch wenn unser Gerechtigkeitssinn aufbegehrt und etwa bei einem Kinderschänder die höchste aller Strafen fordert – um den Rechtsstaat aufrechtzuerhalten, müssen auch hier alle juristischen Formen gewahrt bleiben. Sonst kann es zu einem Justizskandal kommen wie in den Neunzigern in Mainz. „Ferdinand von Schirach und ich stehen schon seit einigen Jahren in Kontakt bezüglich der Frage, wie man die damaligen Wormser Prozesse filmisch erzählen kann. Wie man diesen Skandal mit allen seinen gesellschaftlichen Verstrickungen in die Jetztzeit holen kann“, erzählte Produzent Oliver Berben bei der Premiere von „Glauben“. Bei diesen Prozessen, die von 1994 bis 1997 vor dem Landgericht Mainz verhandelt wurden, waren 25 Personen des massenhaften Kindesmissbrauchs angeklagt – wurden letztlich aber freigesprochen. Weil die Aussagen der 16 angeblich vergewaltigten Kinder wohl falsch waren.

Starker Tobak – gerade weil die Gesellschaft bei Menschen, denen vorgeworfen wird, sich an Kindern vergangen zu haben, unerbittlich richtet. So kann aus einer falschen Beschuldigung schnell ein für die vermeintlichen Täter lebenszerstörendes Urteil werden. Die Serie stellt den heiklen Pfad der juristischen Wahrheitsfindung inmitten der gesellschaftlichen Empörung glänzend dar.

Getragen wird die kinoreife (Kamera: Matthias Pötsch) Inszenierung von einem kongenialen Duo: dem knurrigen Peter Kurth in der Rolle des Anwalts Dr. Schlesinger und der Power Lady Narges Rashidi als nach außen beinharte Azra, die als Schuldeneintreiberin für die Mafia arbeitet, aber aus einem privaten Schicksal heraus Schlesinger beauftragt, einen der wegen Missbrauchs Angeklagten aus dem Gefängnis zu holen. Was der Dr. Schlesinger für ein Typ ist, wollte man von Kurth bei der Premiere wissen. „Einer, den das Leben ziemlich gebeutelt hat“, beschreibt es der 64-Jährige kurz und bündig. Und empfiehlt lächelnd: „Machen Sie sich am besten selbst ein Bild davon.“ Mit Freuden! Ab Herbst. KATJA KRAFT

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