Eine verbotene Liebe

von Redaktion

ARD zeigt berührende Doku über die Beziehung eines SS-Manns und einer Jüdin in Auschwitz

So viel Grauenhaftes hat man im schier unendlichen Fundus an Bild- und Tonmaterial aus dem „Dritten Reich“ schon gesehen und gehört. Und doch gibt es sie noch, viele einzelne Schicksale und Geschichten, die überraschen und tief berühren. Wie die der Jüdin Helena Citron, die zu den ersten tausend Frauen gehörte, die im März des Jahres 1942 ins Konzentrationslager Auschwitz deportiert wurden. Sie trat „durch die Pforte der Hölle“, wie sie sagt – und fand unter den SS-Aufsehern einen Verehrer, der ihr Leben retten sollte. Die Dokumentation „Liebe war es nie“, die das Erste heute um 22.50 Uhr ausstrahlt, erzählt die Geschichte einer verbotenen Beziehung im KZ.

Es war ihre schöne Stimme, die alle verzauberte. „So viel Gefühl. Wenn Helena sang, liefen mir die Tränen über die Wangen“, erinnert sich eine ehemalige Mitgefangene im Film. Auch der SS-Offizier Franz Wunsch, im Lager für sein brutales Verhalten bekannt, verliebte sich erst in ihren Gesang und dann in das Mädchen, das sein Herz berührte. Er sorgte dafür, dass sie bessere Arbeitsbedingungen bekam, schützte sie vor Übergriffen und teilte heimlich seine Verpflegung mit ihr. Das schürte den Neid der anderen Frauen, die unendliche Grausamkeiten ertragen mussten und gleichzeitig wussten, dass sie sich ebenso wie Helena verhalten hätten. „Die Wahrheit ist: Jede von uns wäre dieses Verhältnis eingegangen, um das eigene Leben zu retten“, sagt eine der Zeitzeuginnen.

Die israelische Filmemacherin Maya Sarfaty taucht tief ein in die verbotene Liebe, die, wäre sie bekannt geworden, mit dem Tod für beide geendet hätte. Franz Wunsch bastelte in Auschwitz Fotomontagen, setzte den Kopf von Helena Citron, die in ihrer KZ-Kleidung lächelt, auf andere Körper, versetzte sie in andere Landschaften. Er entwarf sich ein Leben fernab des Lagers. „Sie war seine große Liebe“, sagt Dagmar, die Tochter des 2009 verstorbenen ehemaligen SS-„Kommandoführers“. In den Neunzigerjahren zeichnete sie auf seinen Wunsch ein Video auf, in dem er seine Sicht auf die Geschichte erzählt. Archivmaterial, das Autorin Maya Sarfaty geschickt in ihren Film einarbeitet.

Helenas und Franz’ Wege trennen sich bei der Befreiung von Auschwitz. Die Jüdin flieht mit Schwester Rosa, die der Geliebte ebenfalls retten konnte. Rosas kleine Kinder aber sterben in der Gaskammer. Ein Schmerz und eine Last, die die Schwestern nach Kriegsende mit nach Israel nehmen. Als Helena 30 Jahre später zugunsten von Franz Wunsch vor einem Wiener Gericht aussagen soll, steht sie vor einem Dilemma. „Ich wollte keinen SS-Mann schützen und gleichzeitig musste ich sagen, was wahr ist: Dass er mich und meine Schwester und auch weitere Frauen, die ich schützen konnte, gerettet hat“, erinnert sich Helena Citron – sie starb 2007 – im Film. Die Dokumentation „Liebe war es nie“ zieht ihre Wucht aus den Erinnerungen und Erzählungen der Überlebenden und rekonstruiert ein dramatisches Szenario, in dem Moral, Ethik und Schuld kritisch hinterfragt werden.

ASTRID KISTNER

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