Mein erstes Mal war mit Günter König. Da der nur bis 1982 als Kapitän Jens Braske „Das Traumschiff“ im ZDF steuerte, war ich vermutlich etwa elf Jahre alt, als ich anfing, mich für Sonnenaufgänge, Sonnenuntergänge, glitzernde Wellen und schmalzige Streicher im Hintergrund zu begeistern. „Allem Anfang wohnt ein Zauber inne“, wusste schon Hermann Hesse, und bezaubert war ich tatsächlich von den gut frisierten Männern in weißen Uniformen, dem blitzsauberen Schiff, den wahnsinnig schick gewandeten Passagieren, die zwischen Vorschiff und Achterdeck lustwandelten. Dazwischen setzte Produzent Wolfgang Rademann zu meinem Entzücken jede Menge pittoreske Aufnahmen exotischer Länder, ganz viel türkisblaues Wasser, Papageien, Delfine oder niedliche Löwenbabys. Es war Liebe auf den ersten Blick.
Allerdings nur bei mir. Keiner in meiner Familie hat in den vergangenen 40 Jahren jemals volle 90 Minuten neben mir vor dem Fernseher ausgehalten. Das sei ihr sogar als Bügelfilm zu blöd, sagte meine Mutter. Habe ich damals nicht verstanden. Phasenweise. Irgendwann, während Heinz Weiss 16 Jahre lang als Heinz Hansen das Steuerrad des „Traumschiffs“ in den Händen hielt, ebbte meine Hingabe ab. Mir fielen die hölzernen Dialoge auf. Die mitunter absurden Konflikte, die sich bis zur 84. Minute in Wohlgefallen auflösen mussten, damit ausreichend Zeit blieb fürs Wunderkerzen-Finale beim Captain’s Dinner. Ob Antigua oder Aruba, irgendwie sah das Wasser überall gleich aus. Firmen wurden durch ein einziges Telefonat vom Sonnendeck aus gerettet, Lebensschicksale zwischen Aperitif und zweiter Vorspeise entschieden. Und hinter jeder Ecke lauerte ein Kellner mit einem Tablett voller Gläser.
Apropos: Alkoholische Getränke brachten mich während des Studiums zurück auf Kurs. Das sogenannte „Traumschiff“-Saufen war vermutlich keine Erfindung meiner Kommilitonen. Die Regeln waren einfach: Jedes Mal, wenn das Schiff in Fahrt auf dem offenen Meer in einer Totalen zu sehen war, gab’s einen Obstler für alle. Normalerweise hatte jeder bei Minute 20 schon fünf Stamperl intus. Danach störten einen die geballten Klischees, die pomadigen Altherrenwitze und küchenpsychologischen Selbstanalysen der Figuren kein bisschen mehr. Auch über die Millionen an Anschlussfehlern konnte man sich trefflich amüsieren. Deswegen liebe ich „Das Traumschiff“ bis heute. Die Vorhersehbarkeit der Handlung verspricht stets aufs Neue herrliche Entspannung. Üblicherweise werden drei Liebesgeschichten ineinandergeschlungen, gerne darf inzwischen auch ein jüngeres Paar dabei sein. Ansonsten gilt nach wie vor das Credo des 2016 verstorbenen Produzenten Rademann: „Die Leute wollen keine Überraschungen, die wollen Berechenbarkeit.“ Weshalb „Das Traumschiff“ sich trotz seiner vielen Fahrten genau genommen nie wirklich bewegt hat und vorwiegend als Austragshäusel deutscher TV-Stars dient. Von Heinz Hoenig, Gerit und Anja Kling bis zu Grit Boettcher, Gaby Dohm, Klaus Wildbolz, Peter Sattmann oder Helmut Zierl – die Liste jener Darsteller, die sich gerne einen Urlaub zwischen Galapagos und Polynesien finanzieren lassen, ist nach wie vor meterlang.
Seitdem Fernsehfilme immer besser, spannender, anspruchs- und niveauvoller werden, fehlt es mir oft, dieses entspannte Wegdämmern, das sich früher bei vielen Sendungen von „Derrick“ bis „Wetten dass..?“ zuverlässig einstellte. Dafür bürgt jetzt nur noch dieser schwimmende Groschenroman namens „Traumschiff“, dem ich zum 40. Geburtstag herzlich gratuliere. Ich freue mich schon auf alle kommenden Folgen. Darauf einen Obstler!
Zum 40. Geburtstag
des „Traumschiffs“ nimmt das ZDF die Zuschauer mit auf eine Zeitreise. Ab sofort gibt es in der ZDF-Mediathek 35 Folgen aus den Jahren von 1981 bis 1993.