Zwischen den Geschlechtern

von Redaktion

PORTRÄT André Kaczmarczyk ist der Neue im ARD-„Polizeiruf 110“ aus Frankfurt an der Oder

VON KATRIN BASARAN

Den Rock trägt er ganz selbstverständlich, kurz über den blassen Knien endend, dazu lässige schwarze Boots. Und Kajal. Schwarz umrundet er die offenen, kornblumen-blauen Augen des jungen Polizeischulabsolventen, die warm und aufgeweckt zugleich die Welt betrachten. Vincent Ross ist der Neue an der Seite von „Polizeiruf 110“-Ermittler Adam Raczek (Lucas Gregorowicz) vom deutsch-polnischen Kommissariat Swiecko bei Frankfurt an der Oder.

Ausgerechnet ihm, diesem einzelgängerischen Bullen, schlaflos und tablettensüchtig, mit kaputter Beziehung, stellt man nun diesen dunkelgelockten Jungspund, gespielt von André Kaczmarczyk, zur Seite. „Vincent Ross spricht über seine Gefühle, er hat keine Angst vor emotionaler Nähe, ihm ist jegliches klassisches Rollenverständnis fremd“, erklärt Cooky Ziesche von der „Polizeiruf“-Redaktion die neue Figur. „Er unterscheidet nicht mehr zwischen den Geschlechtern, er selbst ist eine genderfluide Figur.“

Genderfluid? Bitte was? So bezeichnen sich Menschen, die sich nicht auf eine Geschlechtsidentität festlegen, sondern sie dauerhaft veränderbar halten wollen. Sie kann über Zeiträume hinweg oder auch auf Situationen bezogen wechseln. Es wurde viel darüber spekuliert, wer nach zehn Jahren das Erbe von Maria Simon alias Kommissarin Olga Lenski antreten würde. Mit dem Willen der Branche, mehr Vielfalt abzubilden, fiel die Wahl des zuständigen Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB) nun auf den etwas anderen Kommissar Vincent Ross, der am Sonntag um 20.15 Uhr erstmals in der Episode „Hildes Erbe“ zu erleben ist.

In diese Rolle also schlüpft André Kaczmarczyk, in der Film- und Fernsehlandschaft ein bislang wenig beschriebenes Blatt. Ein paar Märchenfilme hat er abgedreht und war unter anderem in „Lindenberg! Mach dein Ding“ zu sehen. Allerdings kann er auf reichlich Theatererfahrung zurückgreifen. Und er ist ein Geschenk, ein absoluter Glücksfall für den „Polizeiruf“.

Dass er den Vincent Ross so glaubwürdig verkörpern kann, liegt am eigenen Lebensstil. Unkonventionell, neugierig und eben genderfluid. Wann ist ein Mann ein Mann? Völlig egal. Er will alles sein können, aber nicht müssen. Im Jahr 1986 im thüringischen Suhl geboren, durchlebt er keine einfache Kindheit – die Mutter geschieden, der polnische Vater zurück in die Heimat gegangen, der Stiefvater „eine typische DDR-Nachwende-Absteiger-Geschichte“, wie Kaczmarczyk einmal in einem Interview sagte. Als Blitzableiter wählt dieser alkoholsüchtige, gewalttätige Mann den Stiefsohn.

Nach dem Abitur bewirbt sich Kaczmarczyk an der renommierten Ernst-Busch-Schauspielschule in Berlin, 2009 ist er fertig – und sucht sich den steinigen Weg des freien Schauspielers, statt sich einem festen Ensemble zu verschreiben. Und er spielt und begeistert! In Berlin, in Rostock, Hannover, am Staatsschauspiel Dresden, wo er ab 2013 dann doch festes Ensemblemitglied wird. Seit 2016 ist er am Düsseldorfer Schauspielhaus engagiert, wo der talentierte, tiefsinnige, gefeierte Darsteller mit einer Schwäche für alte Schlager auch Liederabende und szenische Installationen auf die Bühne bringt.

Und nun ist er also Vincent Ross, der angehende Kommissar mit Bachelor in Psychologie, dessen Augen seinem Gegenüber auf gute Weise tief in die Seele zu blicken scheinen: „Geschieden, kaum Kontakt zu den Kindern, wenig Freunde, nicht mehr der Jüngste, sexuell unausgelastet, müde im Job“, durchblickt er sofort seinen neuen, altgedienten Polizeikollegen Adam Raczek. Um empathisch und sensitiv zu konstatieren: „Du schleppst ganz schön viel mit dir rum. Wie kanalisierst du denn den ganzen Schmerz?“

Ein spannendes neues Team wartet da auf die Zuschauerinnen und Zuschauer – und am Sonntag der erste gemeinsame Fall.

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