Sein persönlichster Fall

von Redaktion

Mit „Die andere Frau“ beendet das ZDF die außergewöhnliche Reihe „Neben der Spur“ mit Ulrich Noethen

VON RUDOLF OGIERMANN

Es ist eine absurde Situation. „Ich bin seine Frau“, stellt sich die Dame vor, die Johannes „Joe“ Jessen (Ulrich Noethen) in der Klinik am Krankenbett seines Vaters antrifft. „Mein Vater ist schon verheiratet“, entgegnet Joe entgeistert. Wer also ist diese Olivia Schwartz (Aglaia Szyszkowitz), mit der Conrad Jessen (Dietrich Hollinderbäumer) seit 20 Jahren im vornehmen Hamburger Stadtteil Harvestehude eine Villa teilt, ohne dass seine Familie etwas davon weiß? Und hat sie etwas mit seinem Treppensturz zu tun? War das etwa gar kein Unfall? „Die andere Frau“ heißt der achte und letzte Film der Reihe „Neben der Spur“, den das ZDF heute um 20.15 Uhr zeigt. Josef Rusnak schrieb das Drehbuch nach der Romanvorlage von Michael Robotham und führte auch Regie.

„Neben der Spur“ – der Reihentitel charakterisiert in dieser Episode mehr denn je Joe Jessens private Situation, in der endgültig nichts mehr ist, wie es war. Sein Vater, ein prominenter Chirurg, führte offensichtlich ein Doppelleben, und dass der Sohn bis jetzt nichts davon mitbekommen hat, daran ist er nicht unschuldig. „Bist du sicher, dass du deinen Vater wirklich kennst?“, fragt die geheimnisvolle Olivia vorwurfsvoll – und der Psychiater muss eingestehen, dass sein letzter Anruf bei ihm drei Jahre zurückliegt.

Dass seine Familie in die Fälle involviert ist, zieht sich durch alle Folgen dieser seit 2015 laufenden, quotenstarken Reihe um ein seltsames Paar aus Kriminaler (Juergen Maurer) und Seelendoktor. Schon im ersten Fall, „Adrenalin“, waren Jessens – inzwischen verstorbene – Frau Nora (Petra van de Voort) und seine Tochter Lotte (Lilly Liefers, Tochter von Jan Josef Liefers und Anna Loos) in der Gewalt eines seiner Patienten. Und auch in „Dein Wille geschehe“ (2017) musste Jessen um das Leben seiner Liebsten bangen, die ein Psychopath in seine Gewalt gebracht hatte.

„Ich hatte sofort das Gefühl, dass diese Rolle eine Chance ist, einen spannenden Krimi zu erzählen, ohne in den Grenzen des Genres stecken zu bleiben“, sagte Noethen, einer der vielseitigsten Darsteller in Deutschland, beim Start über seine Figur, die ermitteln darf, ohne Ermittler zu sein. Engagements für eine durchgehende Rolle im Krimi ging der 62-Jährige lange aus dem Weg – dazu zählt auch der Job des Gerichtsmediziners im Münster-„Tatort“, den der Schauspieler im Jahr 2002 wegen anderer interessanter Angebote nicht antrat. Jan Josef Liefers übernahm.

Sein Held in „Neben der Spur“ sei „eher ein Antiheld“, erläuterte Noethen in jenem Interview vor einigen Jahren, „zerbrechlich, widersprüchlich, auch gesundheitlich schwer angeschlagen“. Jessen leidet an Parkinson, eine schauspielerische Herausforderung, die der gebürtige Münchner bravourös meistert. Überhaupt beeindruckend, wie klischeefrei Noethen diesen Psychiater mit kriminalistischer Energie spielt. Mutig und verletzlich zugleich, einer, der stark sein will und doch immer wieder an seine Grenzen stößt.

So auch in diesem letzten Film, in dem Jessen das Leben seines Vaters und sogar sein eigenes bedroht sieht. Wer ist der junge Mann, der sich an Tochter Lotte heranmacht und plötzlich ein Messer in der Hand hat? Und wie genau kam eigentlich Olivias erster Mann zu Tode? Nach anfänglicher Skepsis sieht auch Kommissar Vincent Ruiz Ermittlungsbedarf. Josef Rusnak gelang mit „Die andere Frau“ ein Thriller abseits des Mainstreams, mit gut gemachten Rückblenden und düsteren Tagträumen der Hauptfigur, die dem Film Tiefe geben.

Romanautor Robotham habe ihn nach der Sichtung des ersten Teils beglückwünscht, freute sich Noethen beim Start vor sieben Jahren. Auch das Finale dürfte dem Erfinder der Figur gut gefallen.

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