Als er 14 Jahre alt war, wollte er sich das erste Mal das Leben nehmen. Zehn Jahre sexuellen Missbrauchs lagen da schon hinter Detlev Zander, der bereits als Baby aus zerrütteten Familienverhältnissen ins evangelische Kinderheim Korntal bei Stuttgart gebracht wurde. Der Beginn eines Martyriums, das den 60-Jährigen bis heute begleitet. „Nicht vergessen, nie vergeben“ ist der Titel der ZDF-Reportage aus der Reihe „37 Grad“, die drei erschütternde Missbrauchsschicksale schildert. Der Mainzer Sender zeigt sie heute um 22.30 Uhr.
Nach einem Bericht des Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung aus dem vergangenen Jahr ist jeder siebte Erwachsene in seiner Kindheit oder Jugend Opfer sexualisierter Gewalt. Die Täter sitzen in Kirchen, Heimen und Vereinen. Institutionen, die eine klare hierarchische Struktur und die Macht über Schutzbefohlene eint. Gleichzeitig fungieren diese Einrichtungen nicht selten als Familienersatz für die Jugendlichen und machen den Missbrauch damit umso schlimmer.
So wie bei Klaus Schmidt (48). Nach dem frühen Tod der Schwester sucht er als Jugendlicher Trost in der Kirche. „Das war für mich ein Stück heile Welt“, erinnert sich der ehemalige Messdiener im Film von Yves Schurzmann. „Meine Mutter war depressiv, mein Vater alkoholkrank. Ich hab’ mich in den Glauben geflüchtet und war wie ein trockener Schwamm, der alles aufsaugt.“ Als ihn ein Seelsorger bei einem Waldspaziergang zu sexuellen Handlungen zwingt, geht Schmidt zur Beichte. Doch der Priester, dem er sich anvertraut, bedrängt ihn, „die Sache nicht an die große Glocke zu hängen“.
Auch Ulrike Breitbach hat lange geschwiegen. Knapp 20 Jahre lang erzählte die ehemals erfolgreiche Leichtathletin nichts von der sexuellen Belästigung durch ihren Jugendtrainer. Mit 14 ging es los. Scheinbar zufällig berührte er sie an intimen Stellen und nutzte Wettkampfsituationen, um sie unter Druck zu setzen. „Zwei Jahre war ich richtig verzweifelt. Aber ich habe nichts gesagt, weil ich kein Opfer sein wollte“, erzählt die 43-Jährige.
Detlev, Klaus und Ulrike – sie alle haben ihr Schweigen mittlerweile gebrochen und bemühen sich bis heute um Aufklärung. Einige der Täter sind tot, andere wurden nie bestraft. Der berührende Film aber zeigt, dass die Betroffenen hart kämpfen müssen, um sich ein Stück normales Leben zurückerobern zu können. ASTRID KISTNER