Wer ist dieser Mann, der vom Komiker zum Präsidenten wurde? Der seine politische Erfahrung als Schauspieler in einer amüsanten Fernsehserie sammelte, in der er das Staatsoberhaupt mimte. Wer ist Wolodymyr Selenskyj? Dirk Schneider und Claudia Nagel entwerfen in ihrer brandaktuellen RBB-Dokumentation „Selenskyj – Ein Präsident im Krieg“, die Arte heute um 20.15 Uhr und die ARD um 22.50 Uhr in Erstausstrahlung zeigen, ein beeindruckendes Porträt des ukrainischen Präsidenten, der seit Beginn der brutalen Angriffe Wladimir Putins auf sein Volk eine erstaunliche Entwicklung durchgemacht hat.
Selenskyj hätte es leicht haben und das Angebot der USA annehmen können, ihn als Putins Staatsfeind Nummer eins aus der Ukraine auszufliegen. Seine Antwort ging um die Welt: „Ich brauche Munition, keine Mitfahrgelegenheit“, ließ er US-Präsident Joe Biden wissen. Eine Aussage, mit der er seinem Volk, aber auch dem Rest Europas signalisierte, dass er sich vom russischen Autokraten nicht einschüchtern lassen und bis zum bitteren Ende kämpfen würde.
Die Waffe, die Selenskyj beherrscht wie kein anderer, ist Social Media. Täglich wendet sich der 44-Jährige über Facebook, Twitter und Telegram an die Menschen – nicht geschniegelt im Anzug, sondern in olivgrüner Militärkleidung. Er spricht Mut zu, ist nahbar, ruft zum Kämpfen und die russischen Soldaten zur Vernunft auf. Das erste Mal in der Geschichte folgt die Welt einem Präsidenten live im Krieg – einem Vater und Ehemann, der klare Worte findet für das Unrecht, das seinem Land widerfährt. Seine Follower sehen ihn betroffen, verletzlich, aber willensstark.
Bei seiner Geburt 1978 ist Selenskyj Sowjetbürger, zu Hause wird Russisch gesprochen. Sein Abitur macht der Sohn eines Physikprofessors und einer Ingenieurin in der seit 1991 unabhängigen Ukraine. Obwohl er einen Abschluss in Jura hat, zieht es ihn auf die große Bühne. „Die Schauspielerei, das Rampenlicht, der Applaus – das hat mich gereizt“, sagt er im Film. „Ich glaube, ich wollte einfach Spaß haben.“ Mit seiner Ehefrau Olena gründet er eine Produktionsfirma, schreibt, spielt und konzipiert provokante Shows mit viel Klamauk.
Kritiker trauen dem Star der Serie „Diener des Volkes“ keine staatsmännischen Fähigkeiten zu, als er 2019 mit 73 Prozent der Stimmen zum Präsidenten gewählt wird. Wie den Helden der TV-Reihe spült es den Mann aus dem Volk ins höchste Amt. Wie viel Leidenschaft, Wille und Überzeugungskraft in Wolodymyr Selenskyj steckt, zeigt die berührende Doku.
Der Film kann auf umfangreiches Archivmaterial zurückgreifen, darunter zwei ausführliche Interviews mit dem ukrainischen Präsidenten. Das eine wurde vor dem Krieg geführt, das andere fand vor wenigen Tagen, mitten im Krieg, statt. Experten, die seinen Werdegang in den letzten Jahren verfolgt haben, komplettieren das Bild. Sie alle sind tief beeindruckt von Selenskyj. „Die Menschen in der Ukraine haben gezeigt, dass sie keinen Diener brauchen“, sagt eine Politikwissenschaftlerin in der Doku. „Sie brauchen eine starke Stimme. Und die haben sie gefunden.“