Serien gibt es wie Sand am Meer. Die besten, heißt es, werden im Ausland produziert. So wie die israelische Reihe „Kvodo“, die fürs Fernsehen der USA adaptiert wurde und dort „Your Honor“ heißt. Hier wie da geht es um einen Richter, dessen Auffassung von Recht und Gesetz sich drastisch wandelt, als sein Sohn einen Verkehrsunfall mit Todesfolge verursacht. Dass diese starke Miniserie auch als deutsch-österreichisches Remake funktioniert, beweist „Euer Ehren“. Wer bei diesem Titel an launige Schmunzelgeschichten vom Amtsgericht denkt, irrt. Das Erste jagt seine Zuschauer an diesem Wochenende in sechs Episoden durch einen atemlosen Thriller um Gesetz und Moral. Bildstark, brutal und brisant.
Im Mittelpunkt steht Grimme-Preisträger Sebastian Koch. Als Richter Michael Jacobi am Oberlandesgericht Innsbruck hat er schon so manchen einflussreichen Gangster hinter Gitter gebracht. Als sein Sohn einen schweren Unfall mit Fahrerflucht verschuldet, will er ihn in die Verantwortung nehmen und zur Polizei begleiten. Doch da erfährt Jacobi, dass das Opfer im Koma liegt und der Sohn eines serbischen Mafiapaten ist, den er selbst in den Knast geschickt hat. Der Clan sinnt auf Rache, der Richter will seinen eigenen Sohn schützen und versucht verzweifelt, die Wahrheit zu vertuschen.
„Ich glaube, jeder, der ein Kind hat, kann die Motivation von Jacobi nachvollziehen“, sagt Sebastian Koch, der am Drehbuch von Regisseur David Nawrath und David Marian mitgearbeitet hat. Der tiefe Fall eines Mannes mit weißer Weste habe ihn von Anfang an gereizt, so der 59-Jährige. „Dieser Richter steht im Kern für unsere Werte. Er glaubt an Demokratie und ein Rechtssystem, das für uns Gut und Böse definiert. Die Geschichte von ,Euer Ehren‘ stellt das enorm infrage, denn eigentlich glauben wir ja, dass uns diese Werte durch jede Situation und jedes Drama führen. Aber dem ist nicht so.“
Immer tiefer verstrickt sich Jacobi in ein Netz aus Schuld und Lügen. Auf seinen Fersen Kriminalkommissarin Gabriele Kirchner (Ursula Strauss), die schon bald einen Verdacht hat, der kriminelle Clan des Opfers und ein skrupelloser Fleischfabrikant (großartig in seiner hemdsärmeligen Brutalität: Tobias Moretti), der aufgrund seiner Drogengeschäfte selbst eine Fehde mit Österreichs Gangstern unterhält.
Immer enger zieht sich die Schlinge zu und wirft die Frage auf, welchen Preis man für bedingungslose Liebe zahlt. Kameramann Tobias von dem Borne findet beklemmende Bilder für das moralische Dilemma, in dem die Protagonisten stecken. Eingebettet in einen Talkessel, umgeben von hohen Bergen, entfaltet Innsbruck einen fast klaustrophobischen Charakter. Das winterliche Tirol zeigt sich von seiner schroffen Seite und schafft damit die passende Atmosphäre für diesen dichten, düsteren Thriller.
Mit seiner fabelhaften Besetzung (in weiteren Rollen unter anderen Paula Beer, Sascha Gersak und Rainer Bock) gehört „Euer Ehren“ zweifellos zu den Fernsehhöhepunkten dieses Jahres. Wie überzeugt die ARD von der sechsteiligen Miniserie ist, beweist schon die Programmierung: Die ersten vier Folgen laufen am Samstag ab 20.15 Uhr, die letzten beiden am Sonntag nach dem „Tatort“. Parallel gibt es alle Episoden in der ARD-Mediathek. Ein Glück für all jene, die sich dem Sog dieses Dramas nur schwer entziehen können.