Nach 90 Minuten fühlt man sich erschöpft, aber als Krimifan zutiefst beglückt. „Alles auf Rot“ ist das fulminante Finale der außergewöhnlichen Thriller-Reihe um die Hamburger Ermittler Erich Kessel (gespielt von Fritz Karl) und Mario Diller (Nicholas Ofczarek). Dem coolen Polizisten-Duo hat Regisseur Lars Becker vier Filme gewidmet. Sein letzter, den das ZDF heute um 20.15 Uhr zeigt, ist wie ein Faustschlag, der einen geradewegs auf den Kiez katapultiert und im düsteren Drogensumpf aufwachen lässt.
Basiernd auf dem Roman „Unter Feinden“ von Georg M. Oswald hat Filmemacher Becker die Drehbücher in den letzten zehn Jahren geschrieben. Aus einem Guss, schnörkellos, in bester Film-noir-Manier. Das ist großes Kino, aber nichts für zarte Gemüter – auch wenn man das Blutbad in einem arabischen Brautmodeladen zu Anfang von „Alles auf Rot“ nur hört und nicht sieht.
Eine Fehde unter Drogenhändlern – nichts Besonderes auf St. Pauli. Die ermittelnden Beamten (Ofczarek und Martin Brambach) wirken fast schon gelangweilt. Doch der Doppelmord wächst sich mit erstaunlichem Tempo zum Racheakt aus, in dem sich auch der ehemalige Polizist und Ex-Junkie Erich Kessel (Fritz Karl) wiederfindet. Nach zwei Jahren Knast ist er wieder auf freiem Fuß, clean und fest entschlossen, alles besser zu machen. Zurück ins Leben mit einem Job als Barmann und einem Platz an der Seite seiner Frau Claire (Jessica Schwarz). Doch bei dem Anschlag im Brautladen wurde die Tochter von Kesslers Mithäftling Walid Schukri (Kida Khodr Ramadan) getötet. Der setzt 50 000 Euro Kopfgeld auf den Killer aus, die Kessler für einen Neuanfang gut brauchen könnte…
Es ist weniger was Becker erzählt, sondern wie er die Geschichte umsetzt. Konzentriert bleibt er an den Figuren dran, verzichtet auf jedes Geschwätz und wechselt virtuos zwischen Brutalität und Melancholie. Am Ende macht sich Wehmut breit: weil jetzt Schluss ist mit Nicholas Ofczarek und Fritz Karl. Ein Duo, das unvergessliche Fernsehmomente geschaffen hat, und das für den Fernsehkrimipreis 2022 nominiert ist.