Ob er je darüber sinniert hat, wie das zu schaffen wäre, in Würde zu altern, ist ungewiss bei Konstantin Wecker, der am Mittwoch seinen 75. Geburtstag feiert. Aber man muss sagen: Aus dem zwanghaften Rabauken von einst, der leidenschaftlich und plakativ gegen die Ungerechtigkeit der Welt ansang, aus dem manischen Selbstverwirklicher ist ein reflektierter, altersmilder Künstler geworden, der mit Selbstironie auf sich blicken kann.
Nicht, dass es falsch verstanden wird: den Brass auf Nazis, Kriegstreiber, Ignoranten hat er immer noch, und das schreit er auch in seinen neueren Liedern heraus. Und auf die Nerven gehen will er weiterhin bewusst genau jenen, die so etwas nicht hören wollen. Aber der Ton ist oft nuancierter und auch die eigene Person wird von Kritik nicht ausgenommen. Aus dem breitbeinigen Macho-Hallodri ist ein bekennender Feminist geworden, der das Patriarchat für eine Wurzel des Übels hält, und auch viele Posen der 68er, die er seinerzeit auch eingenommen hat, hinterfragt er heute. Nur: ein anderer geworden ist er deswegen nicht. Wecker ist auch im Alter Wecker, der Mann, der sich immer noch alttestamentarisch über rechte Umtriebe aufregen kann und mit beachtlicher Penetranz den Finger in die Wunde legt, wenn sich alle schon vor Schmerzen krümmen. Seine Lieder seien seiner persönlichen Entwicklung immer voraus gewesen, hat er im Gespräch mit dieser Zeitung vergangenes Jahr gesagt und gemeint: In seinen Texten war er unbewusst seit jeher subtiler als in seinem Auftreten. Wobei: Texte würde Wecker nie sagen, er spricht immer von Gedichten.
Der Mann war schon als junger Wilder widersprüchlich. Während seine Generation das Bildungssystem infrage stellte, verschlang er Goethe und Rilke, das waren seine Helden, und den Anspruch, an diese Tradition anzuknüpfen, den hat Wecker durchaus an sich. Die Begeisterung an Sprache, am Erschaffen von Musik hat den Mann wohl gerettet, denn zeitweise hat er sehr gerne gelebt, um das mal so zu sagen. Das wäre ihm fast zum Verhängnis geworden. Aber trotz durchfeierter Nächte und illegaler Stimulanzien hat er immer weiter gearbeitet und in 50 Jahren über 600 Lieder geschrieben. Dazu Filmmusiken und natürlich seine legendären endlosen Konzertauftritte. Vor der Kamera steht er auch immer mal wieder – kurzum, der Mann ist ein Arbeitstier und das zwanghafte Werkeln hat ihn davon abgehalten, vollständig abzustürzen.
Mittlerweile lebt Wecker längst vernünftig, ist Familienvater und fast schon gelassener Beobachter des Treibens. Und so fasst er geradezu dialektisch die große Herausforderung dieser Zeiten zusammen, indem er dafür plädiert, sich die Wut unbedingt zu erhalten, aber immer nur aus Liebe zu handeln. Einfach ist das natürlich nicht, und mitunter ist die Wut noch sehr groß bei Wecker, etwa als während der Corona-Pandemie die Kulturschaffenden eher stiefmütterlich behandelt wurden. Kunst sei nicht das Gleiche wie Kegeln – ein netter Zeitvertreib, aber nicht weiter wichtig. Das hat ihn aufgeregt, und da klingt er wieder vertraut, so wie Wecker eben klingt, wenn er sich aufregt. Allerdings nur kurz. Zum Aufregen fehlt ihm ein wenig die Zeit, er will seine Tage nutzen, um endlich wieder Konzerte zu spielen und neue Lieder zu ersinnen. Das dauert im Alter etwas länger, gesteht er ein, aber das ist kein Grund, damit aufzuhören.
Nichts tun, das ist nicht Weckers Ding. Und irgendjemand muss ja der Obrigkeit ein bisschen auf die Nerven gehen. Und den Job macht er eben, so lange er kann und so lange sich keiner findet, der das ebenso überzeugend und hartnäckig tut.
„Lebenslinien“
mit Konstantin Wecker, heute, 22 Uhr, BR-Fernsehen