Es ist weitaus komplizierter, als einen die Politik des Westens einst glauben machen wollte. Die „Friedensmission“, wie der deutsche Bundestag den Einsatz von Streitkräften in Afghanistan in seiner Debatte am 22. Dezember 2001 nannte, ist gescheitert. Vor knapp einem Jahr, am 15. August 2021, übernahmen die Taliban die Macht, von denen das Land eigentlich befreit werden sollte. Hals über Kopf zogen Deutsche und Amerikaner ab. Die letzte Maschine der US-Airforce verließ zwei Wochen nach der Machtübernahme Kabul. Doch noch sind Zehntausende Menschen im Land, die die Luftbrücke dringend bräuchten, weil sie als Kritiker des Regimes in Lebensgefahr sind. Wie sieht der Alltag in Afghanistan mittlerweile aus? Die ARD setzt ab heute einen Themenschwerpunkt und zeigt eine Reihe sehenswerter Dokumentationen.
Afghanistan – Ein Jahr später (heute, 22.20 Uhr)
Zwei Jahrzehnte lang versuchte die NATO, in Afghanistan eine freiheitliche und sichere Demokratie aufzubauen. Doch nach dem eiligen Abzug im August 2021 mit den schrecklichen Bildern mit um Hilfe flehenden Flüchtigen versinkt das Land unter der Herrschaft der Taliban wieder im Chaos – nichts hat sich geändert. Während ein Untersuchungsausschuss den Sinn oder Unsinn der Unternehmung klären soll, wurden mehr als 6000 Menschen nach Deutschland ausgeflogen, vor allem Ortskräfte, die für die Bundeswehr und deutsche Behörden gearbeitet haben. Die Dokumentation „Afghanistan – Ein Jahr später“ zeigt Menschen, die trotz allem bleiben wollen und Helfer, die Gefährdete immer noch auf eigene Faust evakuieren. Dabei lässt der Film von Vanessa Schlesier auch das zähe Ringen der Akteure mit Bundesregierung und Behörden nicht aus. „Afghanistan – Ein Jahr später“ ist in einer ausführlicheren Version als vierteilige Serie auch in der ARD-Mediathek verfügbar.
Aufgewachsen in Afghanistan – 20 Jahre ohne Frieden (Mi., 22.50 Uhr)
„Friedensmission“ oder „Anti-Terror-Krieg“ wurde die 20 Jahre andauernde Militäraktion in Afghanistan genannt. Doch ging es tatsächlich um die oft zitierte „Befreiung afghanischer Schulmädchen“ oder vielmehr um die Wahrnehmung von Bündnispflichten gegenüber den USA? Der Dokumentarfilm „Aufgewachsen in Afghanistan“ wirft einen Blick auf den Alltag im Land. 20 Jahre begleitet die Langzeitbeobachtung der preisgekrönten Filmemacher Phil Grabsky und Shoaib Sharifi einen afghanischen Buben. Er heißt Mir, und seine Geschichte ist geprägt von den Wirren des Krieges, von einem Heranwachsen ohne Frieden. Die berührende Dokumentation zeigt sein Erwachsenwerden in einer der ärmsten und am stärksten umkämpften Regionen der Welt. Ab morgen auch verfügbar in der Mediathek.
Panorama: Hinrichtung aus der Luft (Do., 21.45 Uhr)
„Würde der Westen, wenn es in den bayerischen Alpen ausländische Terroristen gäbe, München bombardieren lassen?“, fragt Jürgen Todenhöfer in seinem Sachbuch-Bestseller „Die große Heuchelei“. Der Journalist bereist seit 50 Jahren die Krisen- und Kriegsgebiete des Mittleren Ostens und ist ein scharfer Kritiker der Militärinterventionen. Die USA berufen sich auf den systematischen Einsatz von Kampfdrohnen, den sie ausgiebig im Krieg in Afghanistan erprobten. Gezielte Tötungen seien so möglich. Doch wie sieht die Realität vor Ort aus? „Panorama: Hinrichtung aus der Luft“ rekonstruiert unter anderem den bisher letzten US-Drohnenangriff in Afghanistan, bei dem zehn Zivilisten, darunter sieben Kinder und ein Mitarbeiter einer Hilfsorganisation, getötet wurden. Kritisch setzt sich die Dokumentation mit Deutschlands entscheidender Rolle im Drohnenkrieg auseinander und fragt, wo die Grünen, die diese Einsätze als Oppositionspartei einst scharf verurteilten, heute dazu stehen. Ab 11. August in der ARD-Mediathek.
Afghanistan und die Taliban (Mo., 15.8., 23.20 Uhr)
Zum Jahrestag der Machtübernahme spricht Sibylle Licht mit Frauen, die aus dem öffentlichen Leben verdrängt wurden. Sie zeigt die Armut im 40-Millionen-Einwohner-Land und die humanitäre Not. Auch in der Mediathek.