„Den moralischen Kompass verloren“

von Redaktion

Medienexperte Jo Groebel über den RBB-Skandal, die Aufarbeitung beim Sender und die Folgen

Jo Groebel ist einer der renommiertesten Medienexperten in Deutschland. Im Interview analysiert der 71-jährige Psychologe den RBB-Skandal um Ex-Intendantin Patricia Schlesinger.

Sie beobachten den öffentlich-recht-lichen Rundfunk seit Jahrzehnten. Wie sehr hat Sie persönlich der Skandal um Patricia Schlesinger überrascht?

Er hat mich schon überrascht. Man kann bei so einer Riesenorganisation wie der ARD immer davon ausgehen, dass es einzelne Abweichungen vom Gebotenen gibt. Aber diese Form und das Ausmaß haben mich dann doch überrascht. Patricia Schlesinger hat, um es mal flapsig zu formulieren, massiv über die Stränge geschlagen. Und sie zeigt bislang öffentlich kaum ein Unrechtsbewusstsein. Sie sieht ja sogar eine Kampagne gegen sich.

Wie kann so etwas sein?

Das ist zum einen ein Problem des moralischen Kompasses, der ihr offenkundig abhandengekommen ist. Und dann hat sie einfach die – man muss schon auch sagen – ungeschriebenen Gesetze nicht gesehen. Ihr Eigenwohl hat die distanzierte und notwendige Überlegung, ob dieses Verhalten wirklich klug ist, verdrängt. Dann ergab eins das andere. Sie hat auch keinen Widerstand gespürt.

Was für ein Versagen der Kontrollmechanismen spricht. Um diese Fragen kümmert sich jetzt sogar die Justiz!

Ja, das in der Tat ist nur schwer zu fassen und zu erklären. Ich glaube, der Punkt ist folgender: Jeder Vorgang hier ist für sich erst einmal ein Einzelfall. Das teure Büro, klar, ist schwierig, aber jetzt auch nicht eine sooo große Sache. Das Auto, okay. Ein Abendessen, ja. Der Skandal kommt durch die Häufung. Dadurch wird es zum System. Und dadurch, dass es ein schleichender Prozess war, war die Kontrolle schwieriger. Alarmglocken hätten trotzdem klingeln müssen.

Dass Frau Schlesinger kein Unrechtsbewusstsein zeigt – liegt das vielleicht auch daran, dass ihr Verhalten gar nicht so unüblich ist? Vielleicht prassen andere Intendanten auch, nur hat das noch keiner aufgedeckt.

Das glaube ich ehrlich gesagt nicht. Ich kenne nicht alle, aber viele Intendanten. Und ich habe es nicht erlebt, dass sie die Kohle wie besinnungslos raushauen. In der Regel agieren sie mit einem guten Gespür, was ethisch und klug ist.

Wie beurteilen Sie die Art der Aufarbeitung? Frau Schlesinger stellt sich mehr oder weniger tot – dafür berichtet der RBB in seinen Programmen, TV, Radio und Online, bemerkenswert offen.

Ganz großartig, ja. Dass in dieser Form reagiert wurde, in Sondersendungen und in den Nachrichten, ist schon auch eine Sternstunde des RBB. Diese Aufarbeitung ist im Grunde das beste Argument, warum es einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk ganz dringend braucht.

Das Gespräch führte Stefanie Thyssen.

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